Arbeit und Muße

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Einleitende Bemerkungen

Das folgende Theaterstück habe ich Anfang Oktober 2023 für den Schülerwettbewerb PhilosophieArena vom Deutschen Netzwerk für Wirtschaftsethik (DNWE) geschrieben. Die Forschungsfrage des Wettbewerbs war: „Braucht der Mensch Arbeit?“ Ich habe in diesem Stück die Auffassung nahegelegt, dass die Arbeit, wie sie unserer Gesellschaft verstanden wird, dem Menschen nicht natürlich ist, sondern eine relativ neue Erscheinung darstellt.

Unter dem jetzigen Einfluss des beachtenswerten Buches The Dawn of Everything von David Graeber und David Wengrow ist es mir wichtig, auf die Schwächen meiner Darstellung hinzuweisen: Es handelt sich um eine lineare, extrem vereinfachte und auf den Westen fokussierte Darstellung. In Wirklichkeit haben sich im Laufe der Menschheitsgeschichte ganz verschiedene Gesellschafts- und Wirtschaftsformen parallel entwickelt. Arbeit und Muße kann daher nicht mehr sein als eine historische Einladung, unsere gegenwärtigen Vorstellungen zu überdenken und sich mit anderen Möglichkeiten des menschlichen Lebens auf diesem Planeten auseinanderzusetzen.

Das Lesedrama hat dennoch einen Gewinnerpreis beim Wettbewerb erreicht.

Jesko Veenema, 14.01.2023

 

Da die Ausschreibung zur Kreativität einlädt, habe ich mich dazu entschieden, das Thema für den Schülerwettbewerb PhilosophieArena in einem Theaterstück (teils in Prosa, teils in Blankversen) zu bearbeiten. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein historisches Verständnis unseres Verhältnisses zur Arbeit unbedingt nötig ist, um dieses offen zu verändern. Als ein zentraler, aber extremen Veränderungen ausgesetzter Begriff unserer Moral ist Arbeit sehr vorbelastet. Dabei entsteht nicht selten ein Widerspruch zwischen der neuen Arbeitswelt und traditionellen Moralvorstellungen. Es gilt also, ein historisches Bewusstsein für deren Herkunft zu schaffen.

Das Drama Arbeit und Muße spannt daher den großen zeitlichen Bogen von den Anfängen der Menschheit bis zu Zukunftsszenarien. Die (auf den Westen fokussierte) schlaglichthaft erzählte Geschichte der Arbeit wird kurzerhand in die zwei Akte Vergangenheit und Gegenwart geteilt. Der erste Akt behandelt die präindustrielle Zeit (Jäger-und-Sammler-Dasein und Landwirtschaft), der zweite Akt die Industrialisierung und die heutige Lage.

Als Hauptquelle der Inspiration hat mir das bemerkenswerte Buch Work: A History of How We Spend Our Time (2020) von James Suzman gedient.[1] Hinweise darauf sowie auf die weiteren Quellen habe ich in Fußnoten am Text angegeben.

Insgesamt ging es mir nicht um Genauigkeit der Darstellung, sondern darum, den großen Bogen zu spannen. Dazu ist Überzeichnung und Vereinfachung der Geschichte unumgänglich. Bei all dem kommt am Ende auch eine positive Vision heraus, wie die Zukunft der Arbeit sein sollte.

Jesko Veenema, 7. Oktober 2023

 

 

 

 

 

 

 

A r b e i t   u n d    M u ß e

 

Ein satirisch-historisches Lust- und Trauerspiel in zwei Aufzügen

von

Jesko Veenema

 

 

Zueignung

Gewidmet den Geknechteten der Erde,
 Den Arbeitern von gestern, heute, morgen;
 Nehmt hin in Eurer Mühsal, Euren Sorgen
 Von einem eitlen Dichter die Gebärde.

 

 

DRAMATIS PERSONAE

(geordnet nach der Reihenfolge ihres Auftritts)

Ein Fernseh-MODERATOR

Ludwig BOLTZMANN, ein Physiker

Gaspard Gustave de CORIOLIS, ein Physiker

Erwin SCHRÖDINGER, ein Physiker

PROMETHEUS, ein Titan

Ein JÄGER

Eine JÄGERIN

Ein SAMMLER

Eine SAMMLERIN

Ein BAUER

Eine BÄUERIN

Ihr gemeinsames KIND

Ein PHILOSOPH

Seine SCHÜLER

Ein protestantischer PFARRER

James HARGREAVES, ein Erfinder

James WATTS, ein Erfinder

Edmund CARTWRIGHT, ein Erfinder

Andrew CARNEGIE, ein Stahlfabrikant

John D. ROCKEFELLER, ein Ölmagnat

Henry FORD, ein Autohersteller

Eine STIMME aus dem Off

Ein SPRECHER

 

2  0   2  3

Erster Aufzug: Vergangenheit

Szene 1: Die Physiker

Ein Talkshow-Studio mit vier Sitzen und einem Tisch, auf dem eine Kanne und vier Tassen Tee stehen, außerdem eine kleine Kanne mit Milch. Der Sitz des MODERATORS ganz links ist frei, daneben von links nach rechts sitzen die Physiker Ludwig BOLTZMANN, Erwin SCHRÖDINGER und Gaspard Gustave de CORIOLIS.[2] Der MODERATOR steht weiter vorne beim Publikum, er hält Textkarten in der Hand.

MODERATOR

Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen.[3] Dabei begann alles ganz klein. Unser Universum begann mit einer hochkonzentrierten Energie und Materie auf allerkleinstem Raum, deren Verteilung bis heute andauert – etwas irreführend als Big Bang oder deutsch Urknall bezeichnet.

Die Geschichte des Universums ist die Entwicklung dieser Energie und dieser Materie gemäß den Gesetzen der Thermodynamik. Was das mit Entropie, dem Leben auf der Erde und nicht zuletzt mit Arbeit zu tun hat – darum geht es heute mit diesen Gästen:

Musik setzt ein. Der MODERATOR setzt sich auf seinen Platz und stellt die Gäste vor. Der jeweils vorgestellte Gast nickt bestätigend Richtung Publikum.

MODERATOR

Ludwig Boltzmann, Professor der theoretischen Physik in Wien und Vertreter der statistischen Thermodynamik; Erwin Schrödinger, Nobelpreisträger und Mitbegründer der Quantenmechanik; und nicht zuletzt: Gaspard Gustave de Coriolis, Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften und Namensgeber der Corioliskraft.

Die Musik endet. Der MODERATOR wendet sich dem ihm am nächsten sitzenden BOLTZMANN zu.

MODERATOR

Herr Boltzmann, es freut mich sehr, dass Sie hier sind. Viele kennen Sie vielleicht als den Mann, der der Entropie eine statistische Definition zu geben vermochte. Sie forschen im Bereich der Thermodynamik. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt, in einem geschlossenen System werde die Unordnung mit der Zeit niemals geringer.
 Können Sie mir also erklären, warum das Zimmer meiner Kinder nach kurzer Zeit immer wieder unordentlich ist?

BOLTZMANN

Nun ja, es ist schlicht und ergreifend eine statistische Notwendigkeit. Gehen wir davon aus, dass jede mögliche Verteilung der Gegenstände im Zimmer Ihres Sohnes gleich wahrscheinlich ist, so zeigt sich, dass es bedeutend mehr mögliche Zustände des Zimmers gibt, die unordentlich sind als Zustände, die ordentlich sind.

Das ist aber eine Vereinfachung des zweiten Hauptsatzes. Er besagt genauer, dass die Entropie eines isolierten Systems, also eines Systems, das keine Energie oder Materie von außen zugefügt oder nach außen verlieren kann, niemals sinkt. Entropie wird oft mit Unordnung übersetzt, das ist aber nicht ganz richtig. Besser versteht man Entropie als ein Maß der Gleichförmigkeit oder der Verteilungsgerechtigkeit von Energie. Es zeigt sich, dass alle spontan ablaufenden Prozesse die Entropie vermehren.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel.

BOLTZMANN beugt sich vor, nimmt seinen Tee und die Milchkanne, und gibt etwas Milch in seinen Tee.

BOLTZMANN

Sehen Sie zum Beispiel diesen Tee. Sobald ich die kühle Milch hinzugebe, verteilt sie sich gleichmäßig im Tee. Nach einer kurzen Zeit haben sich Milch und Tee vermischt und nehmen die gleiche Temperatur an. Im Teilchenmodell bedeutet das einfach, dass sich die Geschwindigkeit der Teeteilchen und die der Milchteilchen aneinander angepasst haben und das die Milchteilchen gleichmäßig unter den Teeteilchen verteilt sind. Deswegen sagt man auch, dass die Entropie das Maß für die Information ist, die benötigt wird, um vom Makrozustand eines Systems auf seinen Mikrozustand zu schließen. Beim mit Milch vermischten Tee ist das zum Beispiel sehr leicht, weil auch ein kleiner Teil davon wiederum mit Milch vermischter Tee ist. Anders zum Beispiel bei einem Glas mit Öl und Wasser, die sich nicht vermischen, den ein Teil daraus ist wahrscheinlich entweder Öl oder Wasser, nicht aber Ölwasser. Darum könnte man sagen, dass ein Tee mit Milch eine höhere Entropie besitzt als Öl und Wasser in einem Glas.

Interessanterweise führen alle spontanen Prozesse im Universum zu einer höheren Entropie. Hat ein System seine maximale Entropie erreicht, kommen alle spontanen Prozesse zum Erliegen. Es würde sich in einem Tee mit Milch niemals die Milch spontan vom Tee trennen. Das ist statistisch einfach zu unwahrscheinlich, da es weitaus mehr Möglichkeiten der Vermischung als von Trennung gibt.

Damit die Entropie eines Systems sinkt, ist daher immerzu Energie von außen nötig. Das gilt analog auch für das Zimmer Ihrer Kinder: Sie müssen Energie aufwenden, also aufräumen, um die Unordnung zu beseitigen. Oder man muss einen aufwendigen Filterprozess in Gang setzen, um Milch und Tee wieder zu trennen. Das heißt, wir müssen immerzu Energie, oder auch Arbeit aufwenden, um dem natürlichen Entropiezuwachs unserer Umgebung entgegenzuwirken.

Da das Universum als Ganzes ein geschlossenes System darstellt, muss die Gesamtentropie des Universums natürlich immer sinken, auch wenn hier und da Inseln von niedriger Entropie darin zu finden sind.[4]

MODERATOR

Es stellt sich nun natürlich die Frage, wie angesichts dieser Tatsache überhaupt Leben im Universum möglich ist. Lebewesen sind schließlich hochgradig organisierte und komplexe Körper, deren Strukturen enorm viel Information aufweisen, d. h. die Menge der Information, die nötig ist, um vom Makro- auf den Mikrozustand zu schließen, ist sehr groß.

Das bringt mich zu meinem nächsten Gast. Herr Schrödinger, Sie haben sich 1944 in Ihrem Buch Was ist Leben?[5] mit dieser Frage beschäftigt.

SCHRÖDINGER

Ja, wissen Sie, ich konnte damals nicht akzeptieren, dass das Leben ein Sonderfall sein sollte, der den physikalischen Gesetzen widersprach. Auch das Leben muss insgesamt zum Entropiewachstum im Universum beitragen. Wissen Sie, das Leben speist sich letztendlich aus der Sonnenenergie. Schon das Sonnenlicht ist eine Energieform mit geringerer Energie als die Kernenergie, aus der es gewonnen wird. Durch Photosynthese wird die Energie der Sonnenlicht-Photonen in chemische Bindungen umgewandelt, was ebenfalls einen Anstieg der Entropie bedeutet. Die Energie der Pflanzen wird dann weiter umgewandelt, etwa in Wachstum der Pflanze und am Ende im Grunde immer in Wärme, auch bei allem, was wir Menschen tun. Wärmeenergie hat wieder eine noch höhere Entropie als chemische Energie. Sie sehen also, bei jedem Prozess steigt die Entropie.

Die Evolution ist daher nicht einfach ein ständiger Wettbewerb um knappe Ressourcen, sondern ein entropiesteigernder Prozess, in dem freie Energie auch eingesetzt wird. Denn auch das Reich des Lebens ist dem zweiten Hauptsatz unterworfen und kennt viele Beispiele, in denen Energie ohne evolutionären Vorteil eingesetzt wird, wenn sie im Überfluss zur Verfügung steht. Wir kennen das von uns selbst aus unseren Mußestunden: Wenn wir nichts zu tun haben, suchen wir uns etwas zu tun, dieses Verhalten einen selektiven Vorteil haben oder nicht.[6]

MODERATOR

Das heißt, im Grunde ist alle unsere Tätigkeit physikalisch betrachtet eine Energietransaktion, die Energie von einem Zustand niedriger Entropie und einen Zustand höherer Entropie bringt?

SCHRÖDINGER

Exakt. Wir haben in der Geschichte der Menschheit immer wieder Wege gefunden, Teile unserer lebenserhaltenden Energietransaktionen auf die Welt außerhalb unseres Körpers auszulagern, vor allem durch die Beherrschung des Feuers und die Nutzung fossiler Energie seit der industriellen Revolution. Auch diese Prozesse – Kochen, Heizen usw. – erhöhen die Entropie auf der Erde gewaltig. Das heißt aber natürlich nicht, dass unsere Prozesse zum Erliegen kommen.

MODERATOR

Es bleibt noch zu klären, was das alles mit dem Thema Arbeit zu tun hat. Unser dritter Gast kann uns hier vielleicht weiterhelfen. Monsieur de Coriolis, Sie sind dafür bekannt, das Wort Arbeit – bzw. französisch „travail“ – in die Physik eingeführt zu haben. Was bedeutet es denn?

CORIOLIS

Arbeit ist eine physikalische Größe, die durch die Formel W = F * s definiert werden kann. Mechanisch bedeutet das, dass eine Arbeit W aufgewendet wird, um einen Körper mit der Kraft F über eine Strecke s zu bewegen. Arbeit wird dabei in derselben Einheit angegeben wie Energie (nämlich Joule) und entspricht daher der Energie, die ein Körper auf einen anderen Körper übertragen muss, um diesen mit einer gewissen Kraft eine gewisse Strecke zu bewegen. Es handelt sich also tatsächlich um einen Energietransfer.[7]

MODERATOR

Aber ist denn damit wirklich gemeint, was wir Menschen unter dem Wort „Arbeit“ verstehen?

CORIOLIS

Nun ja, es ist zumindest eine gerechtfertigte Übertragung aus dem menschlichen Lebensbereich aufs physikalische Universum. Sicher, im gewöhnlichen Sprachgebrauch bezeichnen wir mit „Arbeit“ meistens etwas, das Menschen tun, allenfalls noch Tiere, die dem Menschen dienen; aber sehen Sie, auch das hat sich ja schon mit der Industrialisierung geändert. Was vorher von Menschen getan wurde und Arbeit genannt wurde, kann heute eine Maschine tun. „Roboter“ bedeutet ja sogar nichts anderes als „Arbeiter“.

SCHRÖDINGER

Ich denke auch, dass es sich um eine sinnvolle Übertragung handelt. Nach dieser Definition erledigen auch nicht-lebende Prozesse, eben insbesondere Verbrennung, Arbeit, und so ist es ja auch.

BOLTZMANN

Wenn es nicht so wäre, könnten wir unsere Gesellschaft gar nicht in ihrer ganzen Komplexität aufrechterhalten. Seit der landwirtschaftlichen Revolution und insbesondere seit der industriellen Revolution ist das menschliche Leben um ein Vielfaches komplexer geworden, was bedeutet, dass es erstens immer mehr Menschen auf diesem Planeten gibt und wir zweitens überall und immer mehr Gegenstände und Bereiche erschaffen, die eine extrem niedrige Entropie haben.

SCHRÖDINGER

Exakt. Ohne eine ständige Energiezufuhr, also Arbeit, wäre das überhaupt nicht denkbar, es würde dem zweiten Hauptsatz widersprechen. Im Fall der landwirtschaftlichen Revolution wurde das Bevölkerungswachstum nur durch eine enorme Steigerung der menschlichen Arbeitskraft ermöglicht, später natürlich auch durch die Nutzung tierischer Arbeitskraft, im Falle der industriellen Revolution ist es eine Umwandlung von fossiler Energie, bisweilen auch von Wind-, Wasser-, Sonnen- und Kernenergie, in Arbeitskraft gewesen, eine gewaltige Energieumwandlung, die die Entropie auf der Erde natürlich massiv erhöht hat.

MODERATOR

Nun, das alles klingt hochspannend, aber ist für unsere Zuschauer vielleicht noch nicht anschaulich genug. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Ausführungen, meine Herren, und schlage vor, wir zeigen nun einmal kurz die Geschichte der Menschheit im Schnelldurchlauf, Eurozentrismus nicht ausgeschlossen.

Die Bühne wird dunkel, Überblende zur nächsten Szene.

 

Szene 2: Das Feuer

Eine Lichtung. Im Kreis sitzend ein JÄGER und eine JÄGERIN, ein SAMMLER und eine SAMMLERIN. Sie wirken träge und animalisch. PROMETHEUS tritt auf. In seinen Händen hält er das olympische Feuer, es kann etwa durch ein Teelicht dargestellt werden.

PROMETHEUS

Noch habt ihr wenig Muße, liebe Menschen,
 Und seid noch sehr den Affen zu vergleichen.
 Ihr sammelt und ihr jagt. Noch müsst ihr lange
 Und eifrig suchen, um die große Menge
 An Nahrung aufzutreiben, die ihr dann
 Verdauen müsst aus eigner Körperkraft.
 Doch ich, ich euer Gönner, euer Schöpfer,

Prometheus, habe aus den Hallen des
 Olymp geschickt das Feuer euch entwendet,
 Das Licht der Menschheit, Ursprung der Kultur!

Die Menschen im Kreis schauen mit großen Augen zur Flamme.

SAMMLERIN

Was macht es, fremder Gott? Sagt nur, was macht es?

PROMETHEUS

Das Feuer ist der große Alles-Wandler.
 Es macht aus Rohem Gares, Nacht zu Tag;
 Es macht das Feuchte trocken, Kaltes warm;
Und schmilzt sogar Metall.[8] So viele Kräfte
 Auf einmal zu empfangen, seid erwählt
 Ihr Affen, denen ich die Götterhand
 Hinreiche, dass ihr endlich Menschen werdet!

PROMETHEUS hebt das Teelicht erst über seinen Kopf, dann beugt er sich herab und stellt es in die Mitte des Sitzkreises, sodass eine Art Feuerstelle entsteht.

ALLE

O welch Geschenk, o welche Göttergabe!

PROMETHEUS

In Zukunft soll es euch in kalten Nächten
 Erwärmen. Manches Tier soll es verscheuchen.
 Vor allem aber sollt ihr damit kochen!
 Gekochtes schont vor allem die Verdauung,
 Die leichter wird, sodass euch Energie
 Für andres zur Verfügung steht. Und auch
 So vieles was noch jetzt ganz unverdaulich
 Erscheint, dass soll das Feuer essbar machen,
 Damit ihr wenig Zeit auf Nahrungssuche
 Verbringen müsst und euch die ganze Welt
 Erscheinen muss als eine Vorratskammer,
 Die für euch Omnivoren ward gefüllt.
 Das Tier muss elend Tag um Tag erneut
 Sich viel zu Essen suchen, um zu decken
 Den nötigsten Bedarf und muss davon
 Sich danach lang erholen, und bisher
 Habt ihr dies Schicksal ebenfalls geteilt.
 Das Feuer bringt euch etwas, das das Tier
Nicht kennt, und niemals kennen kann: die Muße,
 Den Ursprung der Vernunft und der Kultur.
 Und frei soll sein das Hirn, sich zu entwickeln,
 Wenn Darm und Magen sparsam sind, da ihnen
 Das Feuer ihre Nahrung vorverdaut;
 Viel Energie wird frei zu vielen Dingen,
 Und keine Mangel haben sollt ihr nun.

JÄGER

Wie können wirs vergelten, großer Gönner?

PROMETHEUS

Ihr könnt es nicht, doch ich bin euer Schöpfer
 Und bin euch mehr, als ihr seid mir verpflichtet;
 Und eure Blüte sei mir Glück genug.

PROMETHEUS ab. Die Menschen knien vor der Flamme nieder. Dann nimmt einer das Teelicht in die erhobene Hand und geht voran, die anderen folgen ihm im Zug. So alle ab.

 

Szene 3: Jäger & Sammler

Dieselbe Lichtung. Die SAMMLERIN tritt auf.

SAMMLERIN

Das Leben ist ein langer schöner Sabbat.
 Seit uns das Feuer viele Mühe nahm,
 Ist unser Sein zum größten Teile Muße.
 Wir leben in der Welt, wie in dem Bauch
 Der Mutter Föten leben, wie umsorgt.
 Die Erde spendet reich die Nahrung, wir
 Durchstreifen sie und finden überall
 Im Überfluss, was wir zum leben brauchen.

Wohin wir uns auch wenden, überall
 Ist alle schon bereitet und geschaffen
 Für unseren Komfort. Die Zweige hängen
 Mit Früchten voll, die wir mit Stöcken schlagen
 Gereift ins unsre Hand, uns süß zu schmecken.

Ein JÄGER tritt auf.

JÄGER

Und groß die Menge anderer Geschöpfe,
 Die uns zum Kochen und zum Essen zur
 Verfügung stehen. Seit wir gerade gehen,
 Vermögen wir sie über lange Strecken
 Zu jagen, sie, die für den kurzen Sprint
 Geschaffen sind und die nicht schwitzen können,
 Vermögen nicht so lange durchzuhalten,
 Und fügen sich zuletzt, wenn sie erschöpft
 Sich fallen lassen müssen und wir sie
Mit sanfter Hand ersticken.[9]

Eine JÄGERIN tritt auf.

JÄGERIN

So leben wir schon hunderttausende
 Von Jahren ohne Mangel, ohne Not.
 Wir kennen nur Besitz, kein Eigentum;
 Wir teilen alles. Jeder tut so viel,
 Wie er nur leisten kann, und jeder fragt
 Nach dem nur, was er braucht und auch bekommt,
 Denn so groß ist die Fülle unsrer Güter,
 Dass wir nicht geizen müssen, und gering
 Ist unsre Gier. Und auch die Unbrauchbaren,
 Die Alten und die Kranken und die Schwachen,
 Vermögen wir so unter uns zu halten.

Ein SAMMLER tritt auf.

SAMMLER

Das Jagen und das Sammeln ist getan
 In kurzer Zeit, und unsre langen Tage
 Sind reich an Stunden süßer Muße, die
 Wir füllen wie es uns beliebt: Wir sitzen
 Am Lager und erzählen uns Geschichten;
 Wir malen hübsche Höhlen farbig an;
 Wir spielen und wir sprechen miteinander,
 Wir lausen uns und lachen; und wir schnitzen
 Figuren. Reich sind wir an Energie.
 Und warum sollte je sich etwas ändern
 An dieser Lebensart, die so vollkommen
Und so natürlich ist?[10]

 

Szene 4: Bauern

Ein Acker. Auftritt BAUER, BÄUERIN und KIND. Der MODERATOR kommt vor ihnen von rechts über die Bühne.

MODERATOR

Was warum hat es sich geändert? Was führte zu dieser größten Revolution in der Geschichte der Menschheit, als Menschen vor über 10.000 Jahren über einen, verglichen mit der Millionen Jahre langen Geschichte unserer Spezies, sehr kurzen Zeitraum von etwa 5.000 Jahren in verschiedenen Teilen der Welt sesshaft wurden und begannen, Ackerbau zu betreiben sowie Pflanzen und Tiere zu domestizieren? Die Forscher streiten sich, doch die plausibelste Theorie geht davon aus, dass Veränderungen des Erdklimas und damit einhergehende Veränderungen der Flora die damaligen Menschen dazu verführten, den uralten Jäger-und-Sammler-Lebensstil zugunsten einer anderen Lebensweise aufzugeben. Doch zu welchem Preis?

BAUER

Das Leben ist ein anderes geworden.
 Ich bin ein Bauer, der schon nicht mehr weiß
 Wie meine Väter durch die Lande streiften
 Und alles ihnen voll war und gewogen.
Das Leben ärmlich, scheußlich, tierisch, kurz[11]
 Molochen von der Kindheit bis ins Grab.
 Es gab wohl eine Zeit vor meinem Leben,
 Als Menschen von der Welt gesegnet waren,
 Und Überfluss ihr Leben hat bestimmt.
 Ich Bauer muss der Erde jede Pflanze
 Und meiner Herde jedes Tier mit Mühe
 Abringen und ich habe davon schließlich
 Nur eine kleine Auswahl von Gerichten.

Die Erde, die uns mütterlich versorgte,
 Erscheint uns öde nun, und jedes Tier,
 Das sich den Alten anbot, muss ich nun
 Voll Mühe unter meine Herrschaft bringen.

BÄUERIN

Gewiss, mein Schoß ist fruchtbarer als früher,
 Der Stamm der Menschen wächst und wächst und wächst.
 So viele Kindermäuler sind zu stopfen!
 Wir kommen mit der Ernte kaum dahin.
 Es scheint uns fast, als wären wir für ein
Vergehen aus dem Paradies verstoßen,[12]
 Das Brot im Schweiße unsres Angesichtes
 Zu essen, sind wir nun verdammt und sind
 Geschlagen außerdem mit andern Übeln,
 Wie Krankheit, Fehlernährung und Gewalt.

BAUER

Wir haben akzeptiert, dass was wir tun,
 Nicht instantan belohnt wird, sondern dass
 Die Arbeit, die sich Tag um Tag vergrößert,
 Erst spät die Früchte trägt, die wir dann noch
 Ein Weilchen in den Vorratskammern lagern,
 Um Winter durchzustehen. Unser Leben
 Ist erstmals in der menschlichen Geschichte
 Von Mangel, Hunger und von Fron gezeichnet,
 Und bald von Eigentum und Hierarchie.

Die Arbeit ist wie eine Vergewaltigung

Des Körpers, den schon Nährstoffmangel zeichnet,
 Und wenn wir über dreißig werden, sind
 Wir dankbar, während Sagen unsrer Väter
 Von Alter über sechzig stets berichten.

BÄUERIN

Das alles war ein riesengroßer Fehler,
 Wir hätten bei der alten Art zu leben
 Bloß bleiben sollen, und doch können wir,
 Die nichts mehr andres kennen als die Arbeit,
 Nicht mehr zu dieser alten Zeit zurück.

BAUER (zum KIND)

Und darum gilt nun dir eine Moral,
 Die dieser neuen Lebensart gemäß,
 Wir können nicht auf Arbeitskraft verzichten.
 So messen wir den Wert von dir, dir Kind,
 An deiner Leistung, deiner Arbeitskraft,
 Und merke dir den Leitsatz immer: Wer
Nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.[13]

Alle gemeinsam ab.

 

Szene 5: Philosophie & Religion

Eine antike Stadt, vielleicht Athen. Ein PHILOSOPH spricht zu seinen SCHÜLERN. Sie tragen alle passende Gewänder, ggf. auch Bärte.

PHILOSOPH

Ich sage euch, meine Schüler, nichts ist wichtiger als Arbeit. Arbeit ist alles. Der Mensch ist zum Arbeiten geboren. Er ist per definitionem das arbeitende Tier. Seht euch um in der Tierwelt: Zwar seht ihr Geschäftigkeit, Tätigkeit, bisweilen sogar Mühe. Doch die Arbeit ist allein dem Menschen vorbehalten. Das Tier ist faul und ziellos. Es befriedigt seine Bedürfnisse nach Laune, es jagt nur, wenn es hungrig ist, es sucht nur Wasser, wenn es durstig ist. Ist es befriedigt, legt es sich nieder in die freie Natur und braucht nicht Bett noch Haus. Anders der Mensch: Ihm ist die Natur feindlich, und er ist zu schwach, um darin zu bestehen. Die Winter zerstören seine Felder, die Stürme zerschlagen seine Zelte, die Hitze vertrocknet seine Erde, kurzum: die Naturkräfte streben ihm bei allem entgegen, und er muss jeden Tag arbeiten, um sein Fortbestehen zu sichern. Er schafft eine Gegenwelt zur Natur – die Kultur. Kultur, cultura, das bedeutet eigentlich nichts anderes als – Ackerbau. Landwirtschaft. Und der Acker und das Haus sind die ersten Räume, die der Mensch in der Natur und gegen die Natur errichtet hat. Das nächste war das Dorf, das übernächste die Stadt, die Polis.[14] Um die Stadt zieht er Mauern, die die Natur aussperren; einige ihrer Geschöpfe jedoch hat er sich unterworfen, damit sie für ihn arbeiten. Kultur verlangt Anstrengung und ständigen Widerstand gegen die Natur, und das gilt auch für den Menschen selbst: ein jeder von uns hat Natur und Kultur in sich, und es gilt, die Natur abzurichten, dass sie Kultur werde, es gilt, sich zu kultivieren. Das erfordert Strenge und Anstrengung und ist das höchste und nobelste Ziel eines Menschen. Darauf geht alle Philosophie, meine Schüler.[15]

EIN SCHÜLER

Doch sagt, was hat es dann mit der Muße auf sich?

PHILOSOPH

Die Muße ist das, um dessentwillen die ständige Arbeit getan wird, sie ist der Lohn unserer Mühen. Sie ist das, was bleibt, wenn die Kultur gesichert ist. Da wir im ständigen Mangel leben, und die Natur uns immerzu von allen Seiten bedrängt, ist sie kostbar und rar, und ist daher uns Philosophen als das Höchste aller Güter vorbehalten. Uns Auserwählten und dazu Bestimmten, uns höchster Klasse von Menschen, uns Kultiviertesten ist es bestimmt, ein Leben ist relativer Muße zu führen. Es ist die höchste überhaupt denkbare Lebensform; sie ist jedoch nur durch die Arbeit der niederen Klassen überhaupt möglich und bleibt immer einer kleinen Elite vorbehalten.[16]

Ein protestantischer PFARRER tritt auf, die SCHÜLER wenden sich ihm zu.

PFARRER

Der Mangel ist in das herrschende Prinzip.
 Die Arbeit ist des Menschen große Pflicht.

Ich sage euch sogar, die eitle Muße
 Ist Sünde vor den Menschen und vor Gott:
 Das Menschenleben sei nur Arbeit und
 Man lasse sich von Muße nicht verführen.

Wer arbeitet in diesem Leben, soll
 Dafür vielleicht im Jenseits seinen Lohn
 Empfangen, wo es keine Arbeit gibt.

Doch wer schon jetzt in freien Stunden sitzt
 Und wagt, einfach das Leben zu genießen,
 Wer untätig und faul ist, der verdient
 Die Strafe Gottes und der Menschen Abscheu,
 Der seiner Pflicht nachgeht. Höret, wer
Nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.[17]

Alle ab in verschiedene Richtungen, etwas von Arbeiten murmelnd, die sie zu erledigen haben.

 

 

Zweiter Aufzug: Gegenwart

Szene 1: Die Erfinder

Auftritt James HARGREAVES.

HARGREAVES

Mein Name ist James Hargreaves, und ich bin

Ein Weber, wie es viele gibt im Lande.

Die Arbeiter in England werden teurer,
 Und ich vermag nicht mehr, die Spinnerei
 Mit Menschen zu betreiben. Doch zum Glück
 War ich so findig, etwas zu erfinden,
 Das Menschenarbeitskräfte etwas spart:
 Die Spinnmaschine ist mein ganzer Stolz.
 Die Arbeit von acht Spinnern kann damit
 Bisweilen nur ein einziger erreichen!
 Ein riesiger Gewinn, der fast erschreckt –
 Und damit scheint der Anfang bloß gemacht…

Auftritt James WATTS.

WATTS

Es gingen andere den Weg noch weiter,
 Wie ich, James Watts, indem sie sich daran
 Erinnerten, was das Geschenk gewesen,
 Das ihnen von Prometheus einst gereicht.
 Die Flamme soll uns jetzt erneut bereichern,
 Doch umfangreicher, besser als zuvor.
 Die Dampfmaschine habe ich erfunden:
 Sie wandelt Dampf, den Feuersbrunst aus Kohle
 Gebar, in Energie, die Arbeit tut.

Unzählig sind die Möglichkeiten dieser
 Maschine, wenn mich auch bisweilen dünkt,
 Selbst sie vermöchte nur ein kleiner Schritt
 Zu sein auf einer himmelhohen Treppe.

Auftritt Edmund CARTWRIGHT.

CARTWRIGHT

Ich habe die Idee für mich genutzt.
 Ich heiße Edmund Cartwright, und ich wusste
 Man kann eure Ideen hübsch verbinden,
 Dass automatisch wird die Produktion.
 Denn teuer ist der Mensch und die Maschine
 Vermag nun mehr zu tun für wenig Geld.
 Ich erfand den ersten automatisch,
 Durch eine Dampfmaschine webenden,
 Ganz menschenlosen Webstuhl. Zu Beginn
 Hat sich geweht die Schar der Weber, die
 Maschinenstürmer heißen, sie zerstörten
 Betriebe, welche meine Automaten
 Benutzten, doch hat sie bald die Geschichte
 Am Wegesrande liegen lassen und
 Mein Kraftstuhl hat sich schließlich durchgesetzt.

ALLE

Jahrtausende vermochten Menschen nur,
 Mehr als zuvor zu produzieren, wenn
 Sie mehr zu arbeiten bereit. Doch nun
 Ist’s wieder des Prometheus’ große Gabe,
 Die Arbeit tut, die wir zuvor getan.
 Die Öfen sollen glühen, die Fabriken
 Füllhörnern gleichen, welche nie versiegen.

Alle nacheinander ab.

 

Szene 2: Die Industriellen

Auftritt Andrew CARNEGIE.

CARNEGIE

Ich heiße Andrew Carnegie, ich bin
 Ein Stahlmagnat, in meinen Firmenhallen
 Wird Zukunft, wird der Fortschritt hergestellt.

Das Feuer, dieser Alles-Wandler, dieses
 Geschenk des Menschenmachers, hat mir die
 Erlaubt und soll noch vieles uns erlauben.

Auftritt John D. ROCKEFELLER.

ROCKEFELLER

Ich heiße John D. Rockefeller und
 Ich gründete die Standard Oil und habe
 Den Ölmarkt praktisch monopolisiert,

Und ward der reichste Mann der Neuzeit wohl.

Die Ströme meines Öls ergießen sich
 Auf Lampen dieser Welt und schlagen Funken.

Auftritt Henry FORD.

FORD

Ich heiße Henry Ford und werde oft
 Als Vater aller Fließbandtechnik, der
 Standardisierung und der Massenproduktion
 Verehrt; ich habe Autos hergestellt.
 So billig, dass sich alle Amerikaner
 Eins leisten konnten. Und ich glaube fest
 An Fortschritt durch die Technik.

ALLE

Wir alle glauben fest an diesen Fortschritt,
 Wir glauben an den Wohlstand dieser Zeit
 Und ein Wachstum in die Ewigkeit;
 Doch glauben wir auch, jeder Mensch muss selbst
 Erst arbeiten und leisten, denn wer nichts
 Zu leisten fähig ist, verdient auch nichts.

Den Fleiß und Arbeit machen einen Menschen,
 Der Glaube steht wie und je; ja: Wer
 Nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen!

Alle nacheinander ab.

 

Szene 3: Die Nachrichten

Ein Fernsehstudio. Gong. Auftritt einer STIMME aus dem Off und eines SPRECHERS.

STIMME

Es ist 20 Uhr. Herzlich willkommen zur Tagesschau. Heute im Studio: Thorsten Sträter.

SPRECHER

Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.

In Hollywood ist es heute zu großen Protesten zahlreicher Schauspieler und Drehbuchautoren gekommen. Die Protestierenden fürchten, demnächst durch Künstliche Intelligenz ersetzt zu werden. –

Der Ministerpräsident eines süddeutschen Bundeslandes hat sich gegen das von der Ampel-Regierung eingeführte Bürgergeld ausgesprochen. Dieses sei in einer Zeit des Fachkräftemangels genau das falsche Mittel. Es sei zu hoch, sodass es sich nicht mehr lohne, überhaupt noch arbeiten zu gehen. Wer nicht arbeiten wolle, solle auch nicht essen. –

Die Automatisierung zahlreicher Berufe wird laut Experten einer noch extremeren Ungleichheiten unter den Nationen, aber auch innerhalb aller Länder weltweit führen. Arbeit und Fleiß verlieren in einer mehr und mehr automatisierten Gesellschaft ihre Bedeutung, wodurch die bereits Reichen durch Investitionen in Maschinen immer noch reicher werden können, während alle anderen ihren Wohlstand nicht länger vermehren können. Dienstleistungsverbände versicherten, sie würden weiterhin ihr Bestes geben, möglichst viele neue überflüssige Stellen, sogenannte Bullshit Jobs[18], für Menschen zu erfinden. „Das machen wir schließlich schon eine Weile mit großem Erfolg“, so ein Sprecher. In der Bevölkerung gibt es jedoch vermehrt Zweifel, wie tragfähig dieser Trick noch ist. –

Microsoft hat in Japan die 4-Tage-Woche ausprobiert – mit großem Erfolg: die Produktivität konnte sogar gesteigert werden. „Trotzdem verbringen diese Menschen des reichen 21. Jahrhunderts immer noch mehr Zeit mit Arbeit als ihre Vorfahren als Jäger und Sammler vor der landwirtschaftlichen Revolution“, gab ein Anthropologe zu Bedenken. –

Die Weltbevölkerung hat in diesem Jahr die geschätzte 8-Milliarden-Marke überschritten, scheint mit dem Wachstum also ebenso wenig aufhören zu wollen wie die Wirtschaft. Zum Vergleich: um 1800 herum gab es auf der Erde geschätzt eine Milliarde Menschen, d. h. es gab eine Verachtfachung in guten 200 Jahren. Die Millionen Jahre davor hat die Menschheit es stets geschafft, unter einer Milliarde Exemplare zu bleiben. –

„Jedes Jahr werden rund 931 Millionen Tonnen Essen weggeschmissen. Gleichzeitig hungern auf der Welt 735 Millionen Menschen.“, so die Welthungerhilfe.[19]

Nun zum Wetter: es ist schön, aber eigentlich auch nicht so wichtig. Viel entscheidender sind die langfristigen, die klimatischen Entwicklungen. Die Menschheit macht keine ernsthaften Anstrengungen, etwas gegen den globalen Klimawandel zu unternehmen, darum wird es heißer und heißer. Grund dafür ist unsere enorme Verbrennung von fossilen Brennstoffen. Die Träume früherer Generationen, bei Industrie solchen Ausmaßes müssten wir in völliger Freizeit leben, haben sich leider trotzdem nicht erfüllt. –
 Nach dieser Sendung schalten wir wieder rüber zu Carl Sagan, der drei große Physiker zu Gast hat. In diesem Sinne, bleiben Sie stabil und gute Nacht!

Überblende zur nächsten Szene.

 

Szene 4: Zurück in der Gegenwart

Talkshow-Setting wie zu Beginn des ersten Aufzugs mit den drei Physikern und dem MODERATOR.[20]

MODERATOR

Und da sind wir wieder, verehrte Zuschauer, wo wir eben waren, zurück in der Gegenwart. Das war die Menschheitsgeschichte im Schnelldurchlauf. Ich bin hier wieder mit meinen Gästen Ludwig Boltzmann, Erwin Schrödinger und Gaspard Gustave de Coriolis. Ich frage Sie nun: Was fällt Ihnen auf?

BOLTZMANN

Was ich spannend finde: Mit der industriellen Revolution gerät die Menschheit in eine ähnliche Lage wie Millionen Jahre zuvor, als sie das Feuer zu beherrschen lernte. Sie war sozusagen die zweite Gabe des Prometheus. Doch verhält sich die Menschheit nun ganz anders als damals. Mit dem Feuer reduzierte die Menschheit einfach ihren Arbeitsaufwand und hatte so viel Zeit für Muße. Die industrielle Revolution hingegen hat mittelfristig sogar für eine Verlängerung der Arbeitszeit gesorgt, und die Arbeiterbewegung, die dann für eine Verkürzung der Arbeitszeit gesorgt hat, entstand sogar mit aus der Maschinenstürmerbewegung. Es wird immer mehr produziert, und trotzdem haben alle immer weniger Zeit, immer Arbeit, Arbeit, Arbeit.[21] Es muss die Frage erlaubt sein: Warum können wir nicht alle einfach mehr chillen?

SCHRÖDINGER

Es scheint so, als wäre das Denken aus der landwirtschaftlichen Mangelgesellschaft in die industrielle Überflussgesellschaft mitgenommen worden. Die ganze Zeit ist von Mangel und Krise die Rede, in Wirklichkeit ist etwa die Leistung der deutschen Wirtschaft seit den 1970er Jahren etwa verdoppelt. Trotzdem arbeiten die Leute genauso lange wie damals, es ist absurd.

CORIOLIS

Das Problem ist wohl unser auf Wachstum angelegtes Wirtschaftssystem, dessen Denkweise von der Landwirtschaft geprägt ist. Davon wird jeder Überschuss gleich aufgefressen und neu investiert. Gleichzeitig schießt die Weltbevölkerung in die Höhe. Auf einem endlichen Planeten muss das Wachstum ohnehin seine Grenzen haben. Warum sollen wir alle dafür noch malochen?

MODERATOR

Ich bedanke mich für diese starken Worte und dafür, dass Sie heute Abend hier waren. Ich bedanke mich bei Ihnen, liebe Zuschauer, für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen ein erholsames Wochenende!

 

Szene 5: Das letzte Wort

Ein PHILOSOPH tritt auf.

PHILOSOPH

Kann es sein, dass wir noch einmal umdenken müssen, was das Thema Arbeit angeht? Der Mensch ist nicht das arbeitende Tier, er ist das müßige Tier. Er macht am besten, was nicht lebensnotwendig ist: Er malt Bilder, er erzählt Geschichten, er denkt nach über den Sinn von allem. Wir sind von unserer Arbeit besessen. Unser Job determiniert unseren Status, unser Wohlergehen, unser soziales Umgehen, sogar unsere Moral und unsere politische Meinung. Doch für den größten Teil der Menschheitsgeschichte hat Arbeit nicht so eine wesentlich Rolle gespielt. Es geht auch anders.

Ab.

 


[1] Die Seitenzahlen beziehen sich stets auf die 2021 bei Bloomsbury Publishing in Großbritannien erschienene Ausgabe.

[2] Diese drei Wissenschaftler haben wirklich gelebt, sind sich aber nie persönlich begegnet (obwohl Boltzmann und Schrödinger sich nur knapp verpasst haben). Stellenweise geht das ihnen in den Mund Gelegte noch etwas über das hinaus, was sie damals wissen konnten.

[3] Die ersten beiden Sätze aus Douglas Adams’ Roman The Restaurant at the End of the Universe (1980). Eine scherzhafte Referenz.

[4] Wissenschaftliche Grundlage dieser Erläuterung ist Vier Gesetze, die das Universum bewegen. Eine Einführung in die Thermodynamik (2010) von Peter Atkins, insbes. Kap. 3 zum zweiten Hauptsatz.

[5] Im Original What Is Life? Zu Schrödingers Ausführungen siehe Suzman, Work, S. 32 ff. Übrigens auch hübsch erklärt Stephen Hawkings Klassiker A Brief History of Time (1988), Kap. 9.

[6] Siehe hierzu Suzman, Work, Kap. 2.

[7] Zur Definition der Arbeit in der Physik siehe https://www.leifiphysik.de/mechanik/arbeit-energie-und-leistung/grundwissen/die-physikalische-arbeit. Siehe zu Coriolis auch Suzman, Work, S. 24 ff.

[8] “For the Ju/’hoansi fire is the great transformer. […] It transforms the raw into the cooked, makes cold bodies warm, tempers wet wood until it is hard as bone and can melt iron. More than that, it transforms darkness into light and dissuades curious lions, elephants and hyenas from harassing people while they sleep.” Suzman, Work, S. 97. Siehe dort auch allgemein Kap. 4 “Fire’s Other Gifts” zu den Vorteilen des Feuers.

[9] Diese als Ausdauerjagd (engl. persistence hunting) bezeichnete Art der Jagd war wahrscheinlich die bestimmende Methode des Menschen für den Großteil seiner Geschichte und wurde von manchen Völkern bis ins 20. Jahrhundert hinein praktiziert. Siehe Suzman, Work, S. 92 ff.

[10] Während früher die Vorstellung vorherrschte, Jäger und Sammler lebten in Armut und befänden sich ständig im unsicheren Kampf ums Überleben, setzt sich seit den 1960ern aufgrund des Studiums zeitgenössischer Jäger-und-Sammler-Kulturen sowie archäologischer Funde die Auffassung durch, dass Jäger und Sammler tatsächlich eher im Überfluss als im Mangel gelebt haben. Siehe dazu bei Suzman, Work, Kapitel 5, „The Original Affluent Society“ und für diese wie die folgende Szene den faszinierenden Artikel „The Worst Mistake in the History of the Human Race“ von Jared Diamond (online unter https://www.discovermagazine.com/planet-earth/the-worst-mistake-in-the-history-of-the-human-race).

[11] Anlehnung an die berühmte Charakterisierung des Menschenlebens im Naturzustand als „poore [sic!], nasty, brutish, and short“ von Thomas Hobbes (Leviathan, First Part: Of Man, Chapter 13).

[12] Diese evolutionär-historische Deutung der Austreibung Adams und Evas aus dem Garten Eden vertreten etwa Carel van Schaik und Kai Michel in ihrem Buch Das Tagebuch der Menschheit. Was die Bibel über unsere Evolution verrät (2016), S. 37-77.

[13] Aus der Bibel: 2. Brief des Apostels Paulus an die Thessalonicher 3:10. Wird als Motiv wiederholt. Das geflügelte Wort findet sich übrigens interessanterweise auch in der Verfassung der UdSSR, Artikel 12.

[14] Vgl. die drei Stufen der menschlichen Gemeinschaft bei Aristoteles (Politika): Haus, Dorf, Staat.

[15] Diese Art der Weltanschauung, die für uns noch heute prägend ist, deutet Hans Jonas im ersten Kapitel von Das Prinzip Verantwortung (1979) kritisch an. Meine Quelle dafür ist jedoch eher das hervorragende Buch Anthropozän zur Einführung (3. Aufl. 2022) von Eva Horn und Hannes Bergthaller.

[16] Vgl. auch bei diesem Gedanken das Ideal des theoretischen Lebens bei Aristoteles (Nikomachische Ethik, 10. Buch).

[17] Der Pfarrer vertritt eine harte puritanisch-protestantische Arbeitsethik, wie sie Max Weber später auch für typisch für den Kapitalismus auffassen wird. Siehe Webers bekanntes Werk Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.

[18] Ein von dem US-amerikanischen Anthropologen David Graeber geprägter Begriff.

[19] https://www.welthungerhilfe.de/aktuelles/blog/lebensmittelverschwendung

[20] Ich lege den Physikern in dieser Szene Sachen in den Mund, die nicht wirklich mehr etwas mit ihrem Werk zu tun haben.

[21] Sagt zum Beispiel auch der Soziologe Hartmut Rosa.