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[Es handelt sich um eine Übersetzung aus dem Englischen, die mehr dem Wortsinn verpflichtet war als gutem Stil.]

 

Gedanken über den Zeitpfeil und die Apokalypse

Die ersten Philosophen hielten den Unterschied zwischen dem Fluss der Vergangenheit und dem Fluss der Zukunft für unerheblich. Erst als sie begannen, die Zeit ernst zu nehmen, traten ihre Hoffnungen auf die Zukunft dieser Welt allmählich an die Stelle ihrer Suche nach Wissen aus einer anderen Welt.

Richard Rorty, Philosophie und die Zukunft. Essays

I. Apokalyptischer Glaube

Von Zeit zu Zeit bin ich schockiert über die enorme religiöse Unbildung meiner Zeitgenossen. Wie ist es möglich, dass eine ehemals durch und durch christliche Gesellschaft in wenigen Jahrhunderten nicht nur ihre Religion, sondern auch ihr Wissen über ihre frühere Religion verloren hat?

Auch wenn ich kein Christ bin, kann ich nicht leugnen, dass ich in meinen Überzeugungen tief von der westlichen philosophischen und religiösen Tradition geprägt bin. Es ist unstrittig, dass die westliche Philosophie dem religiösen, d. h. dem christlichen Glauben inzwischen entwachsen ist: Wir leben in einer nachchristlichen Gesellschaft. Es ist von großer Bedeutung zu sehen, dass nachchristliche Gesellschaften (und die Philosophie) immer noch von nicht-christlichen Gesellschaften zu unterscheiden sind, die nie christlich waren.

Ich selbst glaube nicht an das Übernatürliche oder an Gott; nichtsdestotrotz gibt es einige grundlegende Ideen, die ich von der christlichen Tradition unserer Gesellschaft und Philosophie, bzw. durch sie, übernommen habe. Es ist interessant, welche Art von Mensch dazu neigt, diese Ideen im Herzen zu bewahren, aber dies ist nicht der richtige Ort, um auf diese äußerst schwierige psychologische Frage einzugehen.

Zu diesen immer noch benötigten Überzeugungen gehört die angenehme Erwartung einer Apokalypse. Viele Menschen, mit denen ich über dieses Thema spreche, sind eher überrascht, jemanden zu treffen, der großes Wohlgefühl in der Gewissheit über das Ende der Welt, welche auch das Ende allen Lebens und Leidens ist, findet. Doch wie jeder gute Christ glaube auch ich, dass die Apokalypse eine Erlösung ist. Das Leben ist eitel, und das einzig Gewisse ist der ewige Tod.

Natürlich gibt es mehrere apokalyptische Visionen, aus denen der moderne wissenschaftliche Apokalyptiker nach eigenem Gutdünken wählen kann, wobei in jüngster Zeit die Zerstörung des Ökosystems der Erde durch die menschliche Spezies und das Aussterben der menschlichen Spezies als Folge des Zurückdrängens des Ökosystems der Erde am populärsten ist. Etwas altmodisch, aber meiner Meinung nach keineswegs überholt, ist der nukleare Holocaust, der während des Kalten Krieges seinen Höhepunkt der Popularität erreichte. Die wenigen, die sich mit diesen Visionen nicht zufrieden geben – wie ich selbst – finden die ultimative Darstellung des apokalyptischen Glaubens vielleicht in der Kosmologie und Thermodynamik, wonach unser Universum nicht bestehen kann, sondern sich in Chaos und Gleichförmigkeit auflösen muss; ich kann allerdings nicht behaupten, bisher jemanden getroffen zu haben, der diesen abstrakten Glauben nachempfinden kann.

Es mag überflüssig sein, darauf hinzuweisen, dass diese Visionen aus wissenschaftlicher Sicht wahr oder falsch sein können (oder sich irgendwann als wahr herausstellen könnten); dass dies aber für den Apokalyptiker, der sie hat, nur von geringem Interesse ist.

II. Die ewige Wiederkehr des Gleichen

Nun wird dem aufmerksamen Leser vielleicht klar, warum Nietzsche von der Idee der ewigen Wiederkehr, die nichts anderes ist als das Fehlen einer endgültigen Erlösung, d. h. einer Apokalypse, so verstört war. Außerhalb der westlichen Welt, ja in der westlichen vorchristlichen Welt, war dies tatsächlich die allgemeine Auffassung. Ob im alten Indien, Griechenland, Peru, Japan oder China: man ging allgemein davon aus, dass das Universum schon immer da war und für immer da sein würde, indem es die gleichen Zyklen des Tages, des Jahres, der Geburt und des Todes ad infinitum wiederholte. Dennoch gibt es keine Anzeichen dafür, dass diese Menschen in großer Verzweiflung angesichts ihrer Kosmologie waren – sie haben die Zeit einfach nicht „ernst genommen“, wie Rorty sagen würde.

Könnten sie mein Bedürfnis nach einem apokalyptischen Glauben überhaupt verstehen?

Ich vermute, dass die ersten Philosophen, die die Zeit ernst nahmen, die Christen waren. Sokrates und Platon haben nicht an das Ende der Welt geglaubt, sondern versucht, Wissen aus einer anderen Welt zu sammeln, wie Rorty richtig sagt. Platon verortet seinen idealen Staat in der fernen Vergangenheit, nicht in der Zukunft. Der christliche Glaube an ein „Ende der Geschichte“ (Fukuyama) besteht in den säkularen Ideologien der Neuzeit fort, wie John Gray in seinem Buch Black Mass fesselnd dargestellt hat.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass sogar der Glaube an Wissen aus einer anderen Welt von vornherein ein Fehler war oder zumindest ein großer Schaden gewesen ist.

III. Leben und Physik

Ich habe immer geglaubt, dass die Richtung des Zeitflusses, die gemeinhin als „Pfeil der Zeit“ bezeichnet wird, nicht nur eine physikalische, sondern auch eine teleologische Bedeutung hat, und ich glaube gerne, dass wir dies alle von Natur aus tun, wenn es um unser individuelles Leben geht: Wir glauben, dass wir uns entwickeln, dass wir uns verbessern und über uns hinauswachsen. Im Kleinen glauben wir alle, dass die Zukunft wichtiger ist als die Vergangenheit; wenn das nicht so wäre, könnten wir nicht versuchen, sie zu verbessern.

In der Physik hingegen ist dies offensichtlich nicht der Fall. Einstein, sicher der bedeutendste Physiker, wenn es um die Zeit geht, hat in einem Brief vorgebracht, dass „der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft nur eine Illusion ist, wenn auch eine hartnäckige“. Die Zeit wird als vierte Dimension beschrieben, die sich nicht wesentlich von den drei räumlichen Dimensionen unterscheidet. Der Mensch erscheint im Laufe seines Lebens als ein dünner „Wurm“ in der vierdimensionalen Raumzeit, wie Sir Arthur Eddington es ausgedrückt hat; d.h. dem Leben scheint, aus einer umfassenderen Perspektive betrachtet, jeglicher Fortschritt zu fehlen. Ich war von diesem Gedanken eine Zeit lang sehr verstört, und ich kann immer noch nicht behaupten, ihn überwunden zu haben; ich fragte mich, wenn mein ganzes Leben bereits gelebt wurde – da die Zukunft bereits genauso existiert wie die Vergangenheit und die Gegenwart – warum sollte ich sie dann noch leben? Und warum sollte ich mir die Mühe machen, immer mehr Wissen zu sammeln, wenn ich es nur in der Zukunft haben kann, niemals in der unveränderlichen Vergangenheit? Mir ist jedoch klar, dass diese Fragen nur die Unfähigkeit von mir und, wie ich annehme, von allen Menschen offenbaren, den Gedanken zu begreifen.

Wir haben große Fortschritte gemacht (wenn es überhaupt so etwas wie Fortschritt gibt), aber wir – die Menschen – sind immer noch sehr schlecht darin, über Zeit nachzudenken, und wir können es immer noch nur in Bezug auf Raum, Ort und Bewegung tun. Ja, Bewegung: Ich glaube, dass mein Leben eine Bewegung auf etwas hin ist, auf ein endgültiges Ziel und Ende. Und wenn wir das alle glauben, sind wir dann nicht ab einem frühen Alter Teleologen – ab dem Alter, in dem wir zum ersten Mal über Zeit und Leben nachdenken?

Ich neige zu der Ansicht, dass das Leben schlicht nicht nur aus einer umfassenderen Perspektive betrachtet werden sollte. Aber vielleicht liefern uns die modernen Physiker Einsichten, die die Philosophen schon lange vergessen haben: dass „der Unterschied zwischen dem Fluss der Vergangenheit und dem Fluss der Zukunft irrelevant ist“; oder sogar, dass es aus einer umfassenderen Perspektive keinen solchen Fluss gibt – was an die Philosophie des Parmenides von Elea erinnert.

IV. Die Apokalyptik verlernen

Für eine gewisse Zeit vertrat ich meine apokalyptischen Überzeugungen mit einer durchaus religiösen Haltung und Hingabe, ja mit dem angenehmen, aber nicht ehrenwerten Stolz von jemandem, der glaubt, eine wertvolle Wahrheit entdeckt zu haben, die nur von wenigen geteilt wird. Nach einer Weile begann ich, sie als nützliche Narrative zu betrachten, die zutreffend sein können oder auch nicht. Doch da ich von nicht-apokalyptische Philosophien erfahren habe, Philosophien, die keine Erlösung, kein Ende der Geschichte und keine Teleologie voraussetzen, stelle ich fest, dass ich denke, dass mein Bedürfnis nach Apokalyptik – ob es nun aus wissenschaftlicher Sicht gerechtfertigt ist oder nicht – nur eine persönliche Schwäche ist.

Die meisten von uns haben einige Überzeugungen, die sie brauchen, um ihre Seele zu besänftigen, und ich denke gerne, dass diejenigen, die keine teleologische Wahrheit brauchen, entweder Götter oder Toren sind – was letztendlich dasselbe sein könnte. Aber wenn wir auf andere Zeiten und andere Teile der Welt zurückblicken, können wir sehen, dass die Menschen lange Zeit ohne teleologische Überzeugungen leben konnten – sicher, die meisten von ihnen waren Toren, und die meisten Zeitalter waren töricht. Aber nicht alle, tatsächlich waren einige Philosophen, waren einige Hochkulturen – Kulturen, die andere Überzeugungen, andere Narrative, andere Mythen hatten.

Oh, sollte es denn unmöglich sein, die überholte Vorstellung von Zeit und Geschichte aufzulösen? Sollte es unmöglich sein, die Teleologie zu verlernen? Die Mythen durch andere, durch bessere zu ersetzen? Denn eines ist sicher: Apokalyptik ist deprimierend; in ihr steckt eine Müdigkeit, eine Müdigkeit des Lebens, des immer wiederkehrenden Zyklus von Geburt und Tod, die Müdigkeit, für die Nietzsche das Christentum ebenso kritisierte wie den Buddhismus und den Schopenhauerschen Pessimismus seiner Zeit.

Die Philosophie beschäftigt sich nicht nur mit der Wahrheit, sondern auch mit Mythen. Einige Philosophen mögen über Sprache, Wissenschaft oder Wahrnehmung streiten; aber es sollte einige Philosophen geben – und vielleicht muss das jeder Philosoph zum Teil tun – deren Aufgabe es ist, der Welt um uns herum einen Sinn zu geben. Sinn zu stiften, Bedeutung zu schaffen, Mythen zu erfinden, ist alles das Gebiet des Philosophen: Sie und ich, wir suchen ständig nach Sinn in unserem eigenen Leben, wir mythologisieren es jeden Tag – wir erzählen uns die Geschichten unseres Lebens. Der Philosoph befasst sich jedoch nicht nur mit dem Sinn seines eigenen Lebens – auch wenn dies sein Ausgangspunkt sein mag –, er befasst sich mit dem gesamten menschlichen Leben (und darüber hinaus). Es ist eine der wichtigsten Aufgaben künftiger Philosophengenerationen, neue Mythen der Geschichte zu schaffen, Mythen, die nicht zu naiv und doch inspirierend sind, Mythen, die zugleich die unglaubliche Grausamkeit und Größe der menschlichen Geschichte und des Lebens erfassen.

Aber natürlich ist es nicht einfach, dies von Grund auf zu tun. Wir kehren zu Rorty und seinen frühen Philosophen zurück; sie können uns helfen, unsere Perspektive zu ändern.

V. Ein neuer Epikureismus

Es ist sehr schwer, keine Sympathie für Epikur zu empfinden. In den friedlichsten Stunden, wenn ich an einem milden Sommernachmittag mit einem guten Buch im Garten sitze, habe ich manchmal an seine Philosophie und einige gute Zitate von ihm gedacht und gelächelt. Er muss eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein, den ganzen Tag mit seinen Freunden im Garten verbringend und einfach sein Leben genießend; wahrlich, eine Inspiration. Hatte er Apokalyptik nötig? Sicherlich nicht. Seiner Ansicht nach war das Universum ein unendlicher Prozess der Rekombination von Atomen in einem unendlichen Raum. Es gibt eine unglaubliche Vielfalt, Myriaden von möglichen Kombinationen von Atomen, aber die Atome sind immer dieselben. Auf einer gewissen Ebene ändert sich nichts, und die Zeit spielt keine Rolle. Es gibt keinen Anfang und kein Ende dieses sinnlosen, aber faszinierenden Prozesses. Ich vermute, dass Nietzsche nicht der erste war, der an die ewige Wiederkehr des Gleichen dachte, sondern dass dies auch Epikur durch den Kopf gegangen sein muss. Es gibt eine endliche Anzahl möglicher Kombinationen von Atomen in einem bestimmten Raum, sodass in einer unendlichen Zeit jede mögliche Kombination unendlich oft vorgekommen sein muss – und wird. Doch dies schien für Epikur und seine Anhänger überhaupt nicht verstörend zu sein.

Im atomistischen Modell – ihnen zur Ehre erwähnt, ein von Leukipp und Demokrit übernommenes Modell – gibt es auch keinen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Es gab unendlich viele Kombinationen von Atomen in der Vergangenheit, es wird unendlich viele Kombinationen von Atomen in der Zukunft geben, wobei die Gegenwart nur eine zufällige Permutation der Atome des Universums ist. Die Epikureer hatten keinen Grund zur Hoffnung: Die Welt könnte besser oder schlechter werden – langfristig weder das eine noch das andere.

Doch ich wage zu behaupten: Epikur hat nicht einmal nach der Erkenntnis einer anderen Welt gesucht, und insofern halte ich ihn höher als Sokrates und Platon. (Die atomare Skala könnte man wohl als eine andere Welt bezeichnen, aber darüber gab es nicht wirklich viel zu wissen.) Oh, möge dieser lange verachtete und verspottete Geist aus dem Grab auferstehen, oder, wenn Sie so wollen, aus den staubigen Bücherregalen des antiken Griechenlands, und nicht nur des antiken Griechenlands. Die moderne Physik hat die Spekulationen der Antike verworfen, und doch sind sie von großem Wert – zumindest für mich.

Ich könnte durchaus andere Überzeugungen ausprobieren, nachdem ich an den apokalyptischen so lange festgehalten habe; und ich weiß, dass die Antworten in der Vergangenheit, ganz am Anfang der Philosophie, liegen. Epikur könnte nur mein erster Lehrer sein auf einer Reise aus der Zeit.