Das Stadthaus

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Das Stadthaus

Sonettenzyklus von Jesko Veenema

 

I.

Wie Plattenwerk und toter Welten Rest
 Erscheint der Moloch überm Häusermeer
 Und legt sich auf die Städterseele schwer
 Und scheint des Übels und des Todes Nest.

Und aus den Wänden giftet das Asbest.
 Und unter ihm strömt stetig der Verkehr
 Um ihn herum, als ob er Ausgang wär
 Von irgendeiner unbekannten Pest.

Fassaden glänzen abweisend und matt
 Und drinnen bröckelt immerzu der Putz.
 Und morgens leuchten Fenster in die Stadt

Durchs Grau aus seinem ekelhaften Schmutz.
 Man neigt die Köpfe, wo so hoch und glatt
 Am Abend ragt die quaderhafte Trutz.

II.

So hoch und groß erhebt sich an der Bahn,
 Beim Eingang in den Untergrund, beim Gleis,
 Wo Raben oben fliegen hoch im Kreis,
 Der drohende und düstere Titan.

Und immer nagt an ihm der spitze Zahn
 Der Zeit. So stramm steht doch der strenge Greis.
 Der Efeu und der Schmutz sind der Beweis
 Des Alters. Und sein Leben ist vertan.

Wenn aus dem Orkus sich die U-Bahn drängt,
 Von ferne hebt aus Schächten sich ein Schall,
 Kommts vor, dass eine Ahnung ihn umfängt.

Auf Fenstern und Fassaden, überall,
 In Wänden und in Korridoren hängt
 So schwer und melancholisch der Verfall.

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III.

Im Inneren fehlt manchmal der Empfang.
 Wie abgeschnitten ist die Zwischenwelt,
 Wenn auf den Fluren eine Nadel fällt,
 Vernimmt man in der Ferne noch den Klang.

Und einsam schleichen Tote auf dem Gang,
 Von Stunden öden Wartens schon entstellt.
 Wenn Straßenlärm vor jenen Toren schwellt,
 Dann horchen sie. Es dauert nicht mehr lang.

Geheimnisvoll erscheint im Bürgeramt
 Das Innenleben, wenn ein neuer Pass
 Verlangt, dass man ihn holt, woher er stammt.

In allen Blicken liegen Schmerz und Hass;
 Der Wanderer, zu Warten dort verdammt.
 Und vor den Wänden werden Wangen blass.

IV.

Und plötzlich schlägt sich vor den fahlen Mond
 Der Totenblock, die graue Gruft der Stadt,
 Die drüben auf dem leeren Platz, der platt
 Im Zentrum liegt, so unbezwingbar thront.

Man ahnt, dass etwas Schlimmes darin wohnt,
 Das darin sich vor uns verkrochen hat.
 Und manchmal fällt ein totes braunes Blatt
 Herunter und man fühlt sich wie verschont.

So bleich umstreicht man nur den Totenport,
 Wo unvertraut die Fensterwand sich trübt.
 Geheimnisvoll und düster ist der Ort.

Wenn nachts er seinen Schrecken so verübt,
 Wird still im Mundwerk jedes freche Wort;
 Man wandert in die Innenstadt betrübt.

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V.

So endlos ist der Türen leere Gang,
 Wo immer jede Tür der andern gleicht;
 Und jeder doch ein andres Gift entweicht,
 Das aus den Wänden sickert jahrelang.

Ein fremdes Grauen nimmt hier in Empfang,
 Dass anders drinnen gar die Zeit verstreicht.
 Allein und furchtsam auf den Gängen schleicht
 Der Mensch, den man in diese Hallen zwang.

Als steiler Schatten steht dann die Gestalt
 Ganz plötzlich an der alten weißen Wand.
 Den Rücken überläuft ein Schauer kalt.

Auf seiner Schulter ruht des Todes Hand;
 Der flüstert ihm ins Ohr die Drohung: bald.
 Man sagt, dass darin mancher schon verschwand.

VI.

Durchs Fenster, dieses seelenlos Quadrat,
 In dem das Licht verdämmert halb und stumpf,
 Dringt immer tags der Lärm der Autos dumpf,
 Von denen eine Abgaswolke naht.

Und tut man doch, was man sich stets verbat,
 Und blickt hinauf zu jenem breiten Rumpf,
 Dann fühlt man sich in plötzlichem Geschrumpf,
 Und größer wächst der graue Automat.

Und Schwindel überfällt das Zwergsgemüt;
 Lässt taumeln, und so mancher knickte ein,
 Der jenem Gott ins Antlitz blickt verfrüht;

Am Morgen, wenn von ferne rauscht der Rhein
 Und dunkelgrün der alte Efeu blüht
 In Dämmerung auf bröckelndem Gestein.

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VII.

Von Frühling blühen rosig die Alleen.
 Das Stadthaus steht am Altstadtrand und wird
 Von Raben kreischend ab und zu umschwirrt,
 Derweil es weiche Wolken sanft umstehn.

Man wagt zu ihm kaum heimlich aufzusehn,
 Dem drohend hohen, feierlichen Hirt.
 Ein Obdachloser, dessen Bier zerklirrt,
 Muss tief gebeugt in seinem Schatten gehn.

April. Der Duft wird mild, die Luft wird lind.
 Das letzte tote Blatt des Winters bläht
 Am U-Bahnsteig zur Abendstund der Wind.

Der Blick geht hoch, wo klein ein Rabe kräht.
 Von solchen Bildern wird die Seele blind:
 Das Stadthaus steht in stiller Majestät.

VIII.

Nicht fern des dunklen Parkhausplatzes ist
 Der Obdachlosen-Stammplatz, wo sie ihn
 Im Kreise ehren; welchem Kerosin
 Ein Flugzeug nimbushaft am Kopf gehisst.

Der Baal blickt streng hinab. Ein Schamanist
 Verkündet unten seine Stadtdoktrin.
 Die Schergen, die zu seinen Füßen knien,
 Gehorchen mit dem Herz, dran Armut frisst.

Sie kauern sich zu ihm, ihrem Patron,
 Dem Herrn der Nacht, des Tages, der Natur,
 Der tiefsten Schächte und Kanäle Sohn.

Am Abend hebt sich schwächer die Kontur;
 Wie Ratten ist die Armenschar entflohn
 Vor ihrem Gott zum Mittelstand der Uhr.

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IX.

Wie Ströme, die dem Schattenreich entfliehn,
 Entfließen Autos aus der Innenstadt.
 Die Ampel hält die Wanzen, sodass matt
 Erklingt ein dumpfes Gluckern von Benzin.

Ein Schauspiel, dem man manchmal, nur aus Spleen,
 An trüben Tagen zugesehen hat;
 Am Stadthausrand, und sah sich nimmer satt.
 Am Wegesrande duftete Urin.

Der graue Block, der diese Stadt zerteilt,
 Bleibt ungerührt vom steten Rück und Vor,
 In dem die Menge durch die Enge eilt.

Ein Wächter, steht er mahnend vor dem Tor
 Zur Altstadt. Der Bedrohliche verweilt
 Und ragt übers Gewusel stur empor.

X.

Er nimmt die auf, die die Gesellschaft stoß
 Aus ihren Reihen in den Straßendreck.
 Sie sammeln sich um ihn am trauten Fleck
 Und finden Zuflucht in dem Totenschoß.

Der Vater streckt sich über ihnen groß
 Zum Himmel als ihr Retter und ihr Reck;
 Und schützt sie, scheucht die anderen hinweg.
 Sie betten sich auf seinem dünnen Moos.

Der Schrecklichste hat seine Kinderschar.
 Und er nimmt die, die niemand nehmen mag:
 Die Armen, und die Hure, und den Narr.

Und zwischen ihnen gilt ein still Vertrag,
 Ein Einvernehmen, ungesagt und wahr;
 Er bricht ihn nachts, und hält ihn doch bei Tag.

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XI.

Und immer weht der Wind um seinen Hut
 Und treibt die letzten Blätter vor sich her.
 Von solchen Bildern wird die Seele leer,
 Wird wüst und leer von der Mobile Flut.

Und wenn der müde Blick da länger ruht,
 Auf ihm und auf der Häuserdächer Meer,
 Dann wird der Leib wie eine Tonne schwer;
 Und innen sinkt der Blutdruck und der Mut.

Die Städterseele, jung oder betagt,
 Trägt schwer am düstern Hirten und Titan,
 Der sie bis in die letzten Träume plagt.

Und jeder junge Bonner flucht den Ahn,
 Der dieses Ding zu bauen hat gewagt,
 Modern und zeitgemäß – und so urban.

XII.

Wenn abends nun im Sonnenscheine sich
 Das Kirschenblütenrosarot gebiert
 Von Neuem und am Himmel sich verliert,
 Wie Rosenwasser im Gewand verblich,

Wie Röte, die die schämend Wange strich,
 Von einer Frau, die lächelnd sich geniert;
 Dann legt es sich wie Seidentuch und ziert
 Das Stadthaus, welches wachet ewiglich.

Und milder droht der Moloch nun der Stadt,
 Dass leichter man den Blick nach oben wagt,
 Und beinah gütig, segensreich und satt

Erscheint er nun, wie er zum Himmel ragt;
 Dann dunkelts ihn, ein sterbend Blütenblatt,
 Das neu erblüht, wenn früh der Morgen tagt.

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Mit Fotografien des Autors. (c) Jesko Veenema