Mord

Test Literaturverzeichnis Impressum

„Du sollst nicht töten“, so das fünfte Gebot aus dem Alten Testament (2. Mose 20,13). Das Verbot des Mordes ist eines der ältesten moralischen Regeln der Menschheitsgeschichte, es galt zu allen Zeiten und in allen Ländern. In den monotheistischen Religionen wird Mord oft als unzulässiger Eingriff in die göttliche Schöpfungsordnung charakterisiert. Im Laufe der Philosophiegeschichte hat man verschiedentlich versucht, dieses Verbot in Systeme der Ethik einzugliedern bzw. auf allgemeine ethische Prinzipien zurückzuführen.

Kain und Abel

Wie so oft, stehen sich hier traditionell vor allem die Pflichtethik (auch Deontologie) – insbesondere die von Immanuel Kant entwickelte Metaphysik der Sitten – und der Konsequentialismus – insbesondere der klassische Utilitarismus nach Jeremy Bentham und John Stuart Mill gegenüber.

Bei Kant werden sittliche Pflichten aus dem sogenannten kategorischen Imperativ abgeleitet. Dieser ist die allgemeine Form jedes moralischen Imperativs und gilt laut Kant notwendig für alle vernünftigen Wesen. Er lautet: „[H]andle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.“ (Kant 2008: 54) Einfacher ausgedrückt: Handle nach Prinzipien, die allgemein befolgt werden sollten. Damit soll das Töten anderer Menschen unter den allermeisten Umständen unmoralisch sein, da niemand will, dass der Mord (unter diesen oder jenen Voraussetzungen) allgemein würde. Im Gegenteil verpflichtet er sogar zur Rettung in Todesgefahr Schwebender, da jeder – so die Annahme – in Todesgefahr ebenfalls auf eine solche Rettung hofft.

Eine ganz andere Sichtweise auf das Problem bietet der klassische Utilitarismus. Dieser betrachtet Handlungen nach ihren jeweiligen erwartbaren Konsequenzen, er ist damit die wichtigste Spielart des Konsequentialismus. Dem Utilitarismus liegt „das Prinzip der Nützlichkeit [engl. utility] oder […] das Prinzip des größten Glücks“ (Mill 2014: 14 f.) zugrunde. Da der Tod im Utilitarismus an sich kein Übel ist (die Toten leiden nicht), wird das Tötungsverbot im klassischen Utilitarismus aus indirekten Gründen hergeleitet. Dazu zählen die häufig mit dem Töten verbundenen Schmerzen, die Trauer der Angehörigen und der Verlust, den der Tod eines Menschen für die Gesellschaft bedeutet. Vor allem aber hätte ein Tötungsverbot den Vorteil, dass einzelne Menschen weniger Angst haben müssen, getötet werden zu können (Singer 1994: 124 f.). Der klassische Utilitarismus bietet also zwar eine Reihe indirekter Gründe, warum Töten in den meisten Fällen unrecht ist, doch lassen sich mühelos Situationen konstruieren, in denen er einem Mord ethisch nichts entgegenzusetzen vermag. Ein mittlerweile klassisches Szenario ist das des gesunden Patienten, der getötet werden könnte, um Organe für zwei tödlich Erkrankte zu liefern. Die Tötung des Unschuldigen ließe sich innerhalb des klassischen Utilitarismus rechtfertigen.

Im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte hat es zahlreiche Weiterentwicklungen innerhalb des utilitaristischen Paradigmas gegeben, viele Strömungen haben sich gebildet. Eine davon ist der sogenannte Präferenzutilitarismus, den der australische Philosoph Peter Singer vertreten hat. Bei dieser Variante werden „Handlungen nicht nach ihrer Tendenz zur Maximierung von Lust und Minimierung von Leid, sondern nach dem Grad, in dem sie mit den Präferenzen der von den Handlungen oder ihren Konsequenzen betroffenen Wesen übereinstimmt[,]“ beurteilt (ebd.: 128). Selbstbewusste Lebewesen haben in der Regel die Präferenz, ihr Leben fortzusetzen – je genauer und weiter in der Zukunft sie ihr Leben planen, desto größer wäre dann das Unrecht, das ihnen durch Mord angetan würde.

Es zeigt sich, dass der Tod im Utilitarismus oft problematisch ist, da dieser die Moral an Glückszustände knüpft, die es im Tod nicht geben kann. Zugleich ist der Tod kein leidvoller Zustand, sondern vielmehr gar kein Zustand eines Wesens – da das jeweilige Wesen „nicht mehr ist“. So fällt der Tod gewissermaßen aus dem utilitaristischen Bewertungsraster.

Zurück zur Hauptseite