Töten von Tieren

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Während das Lebensrecht des Menschen seit Menschengedenken – zumindest innerhalb einer Gesellschaft – geschützt ist, gilt das für Tiere nicht. Im Allgemeinen gilt es als selbstverständlich, dass der Mensch das Recht hat, Tiere zu töten – besonders, wenn er daraus einen Nutzen zieht. Alt ist aber auch der Widerspruch gegen diese Sicht; so propagierte der altgriechische Guru Pythagoras (heute bekannt durch den ihm zugeschriebenen geometrischen Lehrsatz) bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. den Vegetarismus; er und seine Anhänger, die Pythagoreer, glaubten an die Seelenwanderung (Metempsychose) – Tier- und Menschenseele seien gleich (Livio 2017: 38). Ähnliche Auffassungen finden sich auch sehr ausgeprägt in der indischen Religion und Philosophie, besonders im Jainismus: das oberste Gebot der Nichtverletzung anderer Lebewesen verbot den Asketen den Fleischkonsum; ja sie achteten gar darauf, nicht versehentlich Insekten einzuatmen (Adamson/Ganeri 2020: 91–96). Und auch in der islamischen Philosophie schließlich gibt es vereinzelt die Empfehlung zum Vegetarismus (Adamson 2018: 103, 175).

Barent Fabritius, Das geschlachtete Schwein

Abendländischer Anthropozentrismus

In der abendländischen Philosophie nehmen Tierrechte und Vegetarismus im Vergleich zur indischen Tradition kaum Raum ein. An der traditionellen Auffassung, der Mensch sei durch seine Vernunft, seine Seele oder dergleichen von den Tieren ganz fundamental verschieden, wird erst seit ein paar Jahrhunderten gerüttelt. René Descartes bspw. hielt Tiere für seelen- und gefühllose Automaten – allein der Mensch sei beseelt: „Das Schmerzgeschrei eines Tieres ist wie das Läuten einer Uhr.“ (zit. Robinson / Garratt 2011: 146). Noch im 20. Jahrhundert meinte Ludwig Wittgenstein, Tiere könnten nicht „bewusst“ sein, da sie keine Sprache besitzen (ebd.). Immanuel Kant ignorierte die Tiere in seiner Metaphysik der Sitten gänzlich; man solle Grausamkeit ihnen gegenüber zwar vermeiden, jedoch bloß, da eine solche Praxis den Hang zur Grausamkeit Menschen gegenüber begünstigen könnte (ebd.). Grundsätzlich habe man Pflichten bloß vernunftbegabten Wesen – Menschen – gegenüber (ebd.: 141).

Klassischer Utilitarismus

Die im 19. Jahrhundert in England entstandene ethische Theorie des Utilitarismus war die erste philosophische Theorie in der abendländischen Tradition, die auch Tiere berücksichtigte (ebd.: 150 f.). Der Utilitarismus nennt Entscheidungen oder Handlungen moralisch, die zu einer Maximierung des Glücks und vor allem einer Minimierung des Leids führen. Für Jeremy Bentham, den geistigen Vater dieser Philosophie, war es offensichtlich, dass auch Tiere fähig sind, Schmerz zu empfinden. Ob sie Vernunft besaßen oder nicht, spielte für ihn keine Rolle; laut Bentham sollten also auch Tiere ethisch berücksichtigt werden (ebd.).

Doch wird im Utilitarismus nicht etwa gefolgert, das Töten von Tieren sei im Allgemeinen schlecht, da erstens Menschen von ihrem Sterben profitieren können (z. B. durch Nahrungsgewinn), und zweitens (und wichtiger), weil der Tod als solcher kein leidvoller Zustand ist. (Die meisten Utilitaristen betrachten den Tod als neutralen Zustand zwischen, oder als Nicht-Zustand jenseits von Glück und Leid.) Ein klassischer Utilitarist hätte daher sicher nichts dagegen einzuwenden, bspw. den kranken Hund einzuschläfern; auch einen schnellen, tödlichen Schuss auf ein Wildtier kann er moralisch akzeptieren. Wichtig ist, dass das entscheidende Argument des klassischen Utilitarismus beim Tier nicht greift. Es besagt, dass Töten verboten sein soll, weil wir nicht getötet werden wollen und ansonsten in der ständigen Angst vor eventuellen Mördern leben müssten. Tiere können solche Gesetze nicht nachvollziehen. Außerdem wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass sie solche Ängste ohnehin nicht haben.

Peter Singer: Speziesismus

Ein prominenter zeitgenössischer Philosoph, der das Töten von Tieren problematisiert, ist der Australier Peter Singer. Er wirft der herkömmlichen, vorutilitaristischen Ethik „Speziesismus“ vor, ein Begriff, der in Anlehnung an Bezeichnungen für Diskriminierungsmuster wie Rassismus und Sexismus gebildet wurde; Speziesisten diskriminieren – so wie Rassisten nach „Rasse“ und Sexisten nach Geschlecht diskriminieren – nach Spezies, so jedenfalls die antispeziesistische Kritik (Singer 1994: Kap. 3). Stattdessen versucht Singer die Definition einer speziesunabhängigen Kategorie, der „Person“: darunter versteht er Individuen, die sich ihrer „selbst als einer distinkten Entität bewußt [sind], mit einer Vergangenheit und Zukunft“ (ebd.: 123). Singer vertritt einen Präferenzutilitarismus, der sich vom klassischen Utilitarismus darin unterscheidet, dass er „Handlungen nicht nach ihrer Tendenz zur Maximierung von Lust und Minimierung von Leid, sondern nach dem Grad, in dem sie mit den Präferenzen der von den Handlungen oder ihren Konsequenzen betroffenen Wesen übereinstimmt[,]“ beurteilt (ebd.: 128).

Den wirklichen Wunsch, das eigene Leben fortzusetzen, (in Abgrenzung von der naiven, instinktiven Todesfurcht) können Singer zufolge nur Personen haben, da nur sie einen Begriff von Zukunft besitzen, während nicht bewusste Lebewesen nicht wissen, dass sie weiterleben (ebd.: 129). Manche Menschen zählt Singer nicht zu den Personen, etwa Neugeborene oder schwer geistig Behinderte. Dagegen vermutet er von einer ganzen Reihe von Tierarten, sie könnten viele Personen enthalten. Dazu beruft er sich auf wissenschaftliche Versuche, vor allem mit Menschenaffen; zwar gibt er zu, dass die Frage nach dem Tierbewusstsein sehr spekulativ sei, doch im Zweifel solle man den Personenstatus lieber annehmen, bevor man etwas Verwerfliches tue (ebd.: 148–158).

Gegen die Tötung von Tieren, die keine Personen sind, weist Singer unter anderem auf die indirekten Gründe hin: der Tod ist oft mit Qualen verbunden und kann auch für die Angehörigen des Tieres schmerzhaft sein (ebd.: 159).

Schopenhauer

Als ein origineller, kaum einer Tradition zuzuordnender Philosoph ist noch Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) als Fürsprecher der Tiere zu nennen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Kant sah er das Fundament der Moral nicht in der Vernunft – diese sei lediglich die Fähigkeit, mit abstrakten Begriffen zu operieren –, sondern im Mitleid und dem intuitiven Bewusstsein, dass die Welt im Kern eins ist. Dazu gehörte für ihn auch das Mitleid mit den Tieren, die zwar keine Vernunft hätten, aber sehr wohl zum Leiden fähig seien.

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