Citius, altius, fortius
Bericht von der XXXI. Internationalen Philosophie-Olympiade
Jesko Veenema
Die Internationale Philosophie-Olympiade (IPO) ist eine staatsunabhängige jährliche Veranstaltung, die vom 11. bis zum 14. Mai 2023 zum 31. Mal stattfand. 104 Schüler aus 49 Ländern aus aller Welt kamen in der Internationalen Olympischen Akademie (IOA), die sich in Olympia, Griechenland, unweit der antiken Austragungsstätte der Olympischen Spiele befindet, zusammen. Getreu dem diesjährigen Motto „A Life In Fair Competition“ sollten sie sowohl miteinander als auch gegeneinander philosophieren – letzteres in Form eines Essays, der binnen 4 Stunden niedergetippt werden sollte.
Ich durfte dort gemeinsam mit Oskar Wienecke Deutschland vertreten und junge Denkerinnen und Denker aus aller Herren Länder kennenlernen.
11.05.23
Tag der Anreise. Busse holen zu verschiedenen Zeiten die Teilnehmer vom Athener Flughafen ab. Schon dort und während der Fahrt nach Olympia komme ich mit den anderen ins Gespräch. Noch etwas reizüberflutet von der Reise und der Menschenmenge dauert es ein bisschen, bis ich gesprächsbereit bin; dann nimmt die Unterhaltung aber schnell Fahrt auf. Unerwartet schnell gewöhnt man sich ans Englische als Verkehrssprache.
In der IOA werden uns Unterkünfte zugewiesen, einen Umhängeausweis, der Name, Land und Status (in meinem Fall Schüler) enthält, bekommen wir auch. Ich lade mein Gepäck in meinem Zimmer ab, das ich mir mit einem anderen Teilnehmer teile. Ich kann schon einen Blick über das Gelände werfen. In Halbkreisen und mehreren Rängen sind die Unterkünfte oben an einem Hang um einen schattenspendenden Palmenhain angeordnet. Davor halten Busse. Ein Weg führt hinunter zum Speisesaal, der auch über eine Bar und zahlreiche Sitzgelegenheiten verfügt. Dahinter wiederum liegt eine Leichtathletikanlage. Weitere Sportanlagen, u. a. ein Schwimmbecken und ein Tennisplatz, lassen sich dahinter erahnen. Seitlich geht ein Weg zum erhöhten Konferenzzentrum. Dort findet nach dem austauschreichen Abendessen die Eröffnungszeremonie statt. In runden Rängen sitzen die Lehrpersonen hier bereits, als die Schülervertreter nach Land aufgerufen werden. Redner folgt nun auf Redner, darunter der Vorsitzende des nationalen Organisationskomitees, Prof. Paroussis, der Vorsitzende des internationalen Dachverbands philosophischer Gesellschaften, der Bürgermeister von Olympia, ein Harvard-Professor für Gräzistik und Hans Lenk, der einzige Professor für Philosophie, der auch Olympiasieger (im Rudern) ist. Auch Musik darf nicht fehlen.
12.05.23
Tag der Prüfung: Im Konferenzzentrum warten vorbereitete Laptops auf uns. Hier haben wir nun 4 Stunden Zeit, um unsere Essays zu schreiben. 4 philosophische Zitate werden uns ausgehändigt. Ich bin rasch entschieden. Bei dieser Entscheidung kommt es nicht auf den Umfang der Vorkenntnisse an, sondern auf das Interesse am Gegenstand und seine Schwierigkeit. Ich kann mich gut konzentrieren und bin zufrieden.
Zur Zerstreuung gingen wir nach dem Mittagessen durch die Ruinen des alten Olympia, wo noch der sportliche Geist der Antike weht. Wir bekamen eine Führung auch durch das ursprüngliche, heute grasüberwachsene Stadion und durch das nahe Museum; zwischendrin immer im Gespräch über dieses und jenes. Zurückgekehrt hörten wir zwei Vorträge: „Fairness in Competition“ von Miha Andrič und „Fairness, Gender, and Intersectionality“ von Evgenia Mylonaki, Professorin an der Universität von Patras. Danach war es Zeit fürs Abendessen, das ich in einer intensiven Diskussion über relativistische Physik zu mir nahm. Schließlich war uns Schülern abends (und nachts) Zeit eingeräumt, um unser Zusammenkommen zu feiern und uns zu unterhalten. Ich zog mich für einen Moment der Ruhe zurück, um dann wieder zu den anderen zu stoßen. Lange stehen und sitzen wir noch beieinander.
Vor dem Einschlafen denke ich noch einmal zurück an den Morgen und habe ein Gefühl, das sich an den folgenden Tagen wiederholen wird: dass er schon lange her ist. Denn es passiert so viel in so kurzer Zeit, so viele Eindrücke und Gespräche, dass ein Tag sich anfühlt wie eine Woche.
13.05.23
Morgens fahren wir zum Apollo-Tempel in Bassae, der hoch über dem Umland auf einem Berg liegt. Vor Ort spricht Sergio Imparato, Professor für politische Philosophie, mit uns über Fairness in Bezug auf angeborene Talente. Er fordert uns auf, unsere Meinung zu verschiedenen Gedankenexperimenten zu teilen. Wir stellen fest, dass der ganze Bereich komplizierter ist, als wir dachten.
Danach fahren wir zu einem historischen Hotel und heutigen Konferenz- und Ausstellungszentrum in Olympia, um zwei spannenden Vorträgen über Skeptizismus und Pyrrhonismus zu lauschen; die Referenten sind Professoren an der Universität von Athen. Nach dem Abendessen gehen die Gespräche wieder bis in die Nacht. Es sind schon sehr besondere Charaktere, denen man hier begegnen darf, und es fehlt nie an Gesprächsstoff. Es ist der letzte gemeinsame Abend und man nutzt die verbleibende Zeit.
14.05.23
Tag der Entscheidung. Die letzte Zeremonie beginnt mit einem Vortrag von Dr. Imparato über angeborene Talente (natural gifts) und die Verpflichtung, die mit ihnen einhergeht. Wieder folgen zahlreiche Grußworte. Dann werden die Preise ausgerufen. Für alle, die im mehrstufigen Verfahren der Essay-Bewertung in die engere Auswahl gekommen sind, aber keine Medaille ergattert haben, werden ehrenhalber aufgerufen (honorable mention). Einzeln kommen die Schüler auf die Bühne und ernten verdienten Applaus. Dann werden die Medaillen in den drei Farben verliehen; in diesem Jahr sind es 2 Gold-, 3 Silber- und 8 Bronzemedaillen. Mir wird eine Bronzemedaille verliehen und Oskar hat sogar eine Silbermedaille erreicht, womit wir Deutschland wohl würdig vertreten haben; nur die Finnen haben in der nationalen Gesamtleistung ein besseres Ergebnis erzielt. Abgeschlossen wird die Zeremonie durch ein allgemeines Händeschütteln und Gratulieren, vor dem Konferenzzentrum wird ein großes Gemeinschaftsfoto geschossen.
Die Stunde des Abschieds rückt näher und man bereitet sich auf die Abreise vor. Zu verschiedenen Zeiten fahren die Busse nach Athen, und man muss sich von den vielen, die man in so kurzer Zeit doch sehr gut kennengelernt und auch liebgewonnen hat, trennen; nicht ohne den Vorsatz, voneinander zu hören, vielleicht auch sich wiederzusehen.
Die IPO war eine großartige Veranstaltung, die nicht möglich gewesen wäre ohne die Unterstützung zahlreicher nationaler Stiftungen – in Deutschland der Josef-Pieper-Stiftung –, internationale Förderung, die Hilfe der Freiwilligen, das Engagement von Lehrpersonen, Professoren und Funktionären. Ihnen allen sei gedankt für die vielen bereichernden Erfahrungen, die wir in wenigen Tagen haben sammeln dürfen. Uns bleiben nicht nur Erinnerungen, sondern auch Kontakte für die Zukunft. Es war eine unglaubliche Gelegenheit, mit und von interessanten Menschen aus aller Welt zu sprechen und zu lernen.