Könnte Gott existieren?

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Jesko Veenema

Könnte Gott existieren? Innere Widersprüche des Gottesbegriffs

Eine religionsphilosophische Untersuchung

 

„Wer Gott definiert, ist schon Atheist.“

Oswald Spengler, Gedanken, Von der Religion (zit. Puntsch 1995: 18)

1. Einleitung

Mehr als einmal in der Philosophiegeschichte ist versucht worden, die Existenz Gottes aus dem Gottesbegriff selbst herzuleiten, wonach unter allen Umständen die Existenz Gottes angenommen werden dürfe, da sie a priori feststehe.[1] Weitaus seltener hat man das Umgekehrte versucht: auf innere Widersprüche des Gottesbegriffs (bzw. der Gottesvorstellung) hinzuweisen, woraus man a priori auf die Nonexistenz Gottes zu schließen gezwungen wäre.

In der vorliegenden Arbeit werden einzelne widersprüchliche Aspekte des Gottesbegriffs betrachtet und untersucht, ob Gottes Existenz a priori ausgeschlossen ist. Dabei werden religiöse Spezifika bewusst ausgelassen: Einzelnen Religionen, Konfessionen oder Schulen eigene Dogmen interessieren hier nicht;[2] dem Gottesbegriff wird vielmehr in einer möglichst reinen Form begegnet. Es handelt sich ausdrücklich nicht um eine religiöse oder theologische, sondern um eine philosophische (genauer: religionsphilosophische) Untersuchung; dahingehend ist auch das vorangestellte Zitat zu verstehen. Die religiösen Wurzeln des philosophischen Gottesbegriffs können und sollen natürlich trotzdem nicht verleugnet werden; es wird daher notwendigerweise auf religiöse und theologische Quellen und Vorstellungen zurückgegriffen.

Man bedenke die Wichtigkeit der vorliegenden Frage: Widersprechen sich die Gott zugesprochenen Eigenschaften derart, dass kein sinnvoller Gottesbegriff möglich ist, so ist die Aussage „Es gibt keinen Gott“ – der Atheismus – (wenn der Gottesbegriff nicht definiert ist) sinnlos oder (wenn er definiert ist) tautologisch. Alle Argumente für die Existenz Gottes wären dagegen nichtig und die philosophische Debatte darum wäre bei klaren Begrifflichkeiten zugunsten des Atheismus entschieden.

Vor dem abschließenden Fazit wird eine kurze Überlegung darüber eingeschoben, wie es möglich ist, dass ein widersprüchlicher Gottesbegriff überhaupt vertreten wird.

2. Atheismus und Agnostizismus

Unter den bekannten öffentlichen Vertretern des Atheismus wird auffällig selten auf die mit dem Gottesbegriff verbundenen Paradoxa hingewiesen; stattdessen wird häufig auf naturwissenschaftliche Erklärungen, die Gott entbehren können, hingewiesen, der Glaube an Gott erklärt und auf dem wissenschaftlichen Sparsamkeitsprinzip (Ockhams Messer) insistiert. Die Existenz Gottes wird durch diese Argumente nicht ausgeschlossen; es werden bloß die üblichen Gottesbeweise widerlegt.

So wird sie nicht unmöglich, sondern bloß sehr unwahrscheinlich, wie diese Atheisten zumeist auch selbst zugeben; so schreibt etwa der Evolutionsbiologe und Religionskritiker Richard Dawkins in seiner populären Streitschrift Der Gotteswahn:

Dass man Gottes Nichtexistenz nicht beweisen kann, ist eine allgemein anerkannte, triviale Erkenntnis, und sei es auch nur in dem Sinn, dass man die Nichtexistenz von irgendetwas niemals absolut beweisen kann. Entscheidend ist nicht, ob Gottes Existenz widerlegbar ist (das ist sie nicht), sondern ob sie wahrscheinlich ist. (Dawkins 2018: 77 f.)

Dawkins bezieht sich im selben Kapitel auf Bertrand Russells berühmte Parabel von der die Sonne zwischen Erde und Mars umkreisenden Teekanne; ein Atheist muss sich für seine Position dieser Analogie zufolge ebenso wenig rechtfertigen wie jemand, der nicht an eine solche Teekanne glaubt (ebd.: 74 f.).

So absurd sie auch sein mag, lässt sich die Existenz einer solchen Teekanne doch klar und widerspruchslos denken; weshalb die Menschen sich, wie Dawkins richtigerweise feststellt, wohl „[s]treng genommen […] alle als Teekannen-Agnostiker bezeichnen [müssten]: Wir können nicht mit Sicherheit beweisen, dass es keine himmlische Teekanne gibt.“ (Ebd.: 75)

Mit der Widerlegung, die in den folgenden Kapiteln erörtert wird, ist vielleicht ein Atheismus im strengsten und krassesten Sinne möglich: nicht bloß ein Unglauben in Bezug auf Gottes Existenz, sondern tatsächlich ein Glauben an seine Nonexistenz. Denn wenn die in Kapitel 1 vorgestellte Vermutung zutrifft, ist Gottes Existenz nicht einmal klar und widerspruchslos denkbar – und fiele damit selbst unter den Status der himmlischen Teekanne.

Der Agnostizismus – die Auffassung, man könne die Frage nach der Existenz Gottes nicht (philosophisch) beantworten – wäre damit ebenfalls widerlegt.

3. Der umgekehrte ontologische Beweis

Wie beim ontologischen Beweis die Existenz Gottes aus dem Gottesbegriff bewiesen werden soll, wird in dieser Arbeit versucht, seine Nonexistenz aus dem Gottesbegriff zu beweisen. Trotzdem handelt es sich bei der in dieser Arbeit vorgestellten Widerlegung nicht um eine schlichte Umkehrung des ontologischen Beweises, wie er bei Anselm von Canterbury oder René Descartes vorliegt (s. Brugger 1992: 278). Ein Beispiel einer solchen Umkehrung hat der Australier Douglas Gasking geliefert:

1. Die Erschaffung der Welt ist die größte vorstellbare Errungenschaft.

2. Der Wert einer Errungenschaft ist das Produkt (a) ihrer inneren Qualität und (b) der Fähigkeiten ihres Schöpfers.

3. Je größer die Unfähigkeit (oder Behinderung) des Schöpfers ist, desto eindrucksvoller ist die Errungenschaft.

4. Die größte Behinderung für einen Schöpfer würde darin bestehen, dass er nicht existiert.

5. Wenn wir also annehmen, dass das Universum das Produkt eines existierenden Schöpfers ist, können wir uns ein noch größeres Wesen vorstellen, nämlich eines, das alles erschaffen hat, obwohl es nicht existiert.

6. Ein existierender Gott wäre also nicht so groß, dass man sich nicht etwas noch Größeres vorstellen könnte, denn ein viel leistungsfähigerer und unglaublicherer Schöpfer wäre ein Gott, den es nicht gibt.

7. Gott existiert nicht. (zit. Dawkins 2018: 117).

Dieser Beweis ist natürlich so ungültig wie alle ontologischen Argumente, da Existenz „offenbar kein reales Prädikat, d. i. ein Begriff von irgend etwas [sic], was zu dem Begriffe eines Dinges hinzukommen könne[,]“ ist (Kant 1975: 633). Der in dieser Arbeit vorgestellte umgekehrte Beweis beruht daher nicht darauf, dass dem Gottesbegriff die Nonexistenz als ein Prädikat eigen ist, sondern darauf, dass seine einzelnen Prädikate einander widersprechen.

Trotz der reizenden Plakativität würde ich mein Vorgehen daher nicht als „ontologische Gotteswiderlegung“ o. Ä. bezeichnen.

4. Widersprüche im Gottesbegriff

Im Folgenden wird im Einzelnen auf die Widersprüche eingegangen, die sich innerhalb des Gottesbegriffs abzeichnen. Diese sind nicht immer scharf voneinander zu trennen und hängen zusammen.

Die Literatur zu diesem Thema ist dünn und bleibt implizit. Als Hauptquelle dienten David Humes Dialogues Concerning Natural Religion (1779), in dem die fiktiven Diskutanten je verschiedene Seiten des Gottesbegriffs repräsentieren.

4.1 Personalität

In der Bibel heißt es: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn […]“ (1. Mose 1: 27, hier und im Folgenden nach Württembergische Bibelanstalt Stuttgart 1978). Im Unterschied zu allen anderen irdischen Lebewesen ist der Mensch also Gott ähnlich bzw. Gott dem Menschen. Gott ist also personal.

Die Geschichte des Monotheismus ist eine Geschichte der Vergeistigung. Im frühen Judentum konnte Gott noch sehr konkret durch den Garten Eden wandeln und hat viele menschliche Züge. Im Neuen Testament hingegen wird die Geistigkeit Gottes betont: „Gott ist Geist […]“ (Johannes 4: 24). So entfernt er sich vom stets leiblich bleibenden Menschen. Es handelt sich dabei um eine gesteigerte Verehrung: Gott verliert immer mehr allzu menschliche Attribute und wird so immer vollkommener. So zitiert etwa Demea, Humes fiktiver Repräsentant der christlichen Orthodoxie, den französischen Geistlichen und Philosophen Nicolas Malebranche wie folgt:

[I]n the same manner as we ought not to imagine, even supposing him corporeal, that he is clothed with a human body […]; so, neither ought we to imagine that the spirit of God has human ideas, or bears any resemblance to our spirit […]. We ought rather to believe, that as he comprehends the perfections of matter without being material…. [Humes Auslassung] he comprehends also the perfections of created spirit without being spirit, in the manner we conceive spirit […] (Hume 2009: 22; pt. 2).[3]

Demea beschreibt die menschliche Seele an einer anderen Stelle als chaotische, unstete und uneinheitliche Ansammlung von Fähigkeiten, Trieben, Erfahrungen und Ideen; dagegen sei Gott einheitlich, einfach und unveränderlich (vgl. ebd.: 39 f.; pt. 4).

Doch hat diese „Entmenschlichung“ Gottes offenbar natürliche Grenzen. Die Personalität kann nicht aus dem Gottesbegriff vertrieben werden, obwohl dies in der Philosophie versucht worden ist. Der bedeutendste Vertreter eines derart entstellten Gottesbegriffs ist Baruch de Spinoza. Gott wird von ihm als allumfassend und geheimnisvoll betrachtet, wodurch er jeden persönlichen Charakter einbüßt: „Unter Gott verstehe ich das schlechthin unendliche Seiende, d. h. die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen jedes ein ewiges und unendliches Wesen ausdrückt.“ (Zit. Lutz 1989: 750) Besonders auffällig ist das völlig unpersönliche Wort „Substanz“ (orig. lat. substantia). Seine Lehre des Pantheismus fasst Spinoza wie folgt zusammen: „Alles, was ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein oder begriffen werden.“ (Zit. ebd.)

Es ist offensichtlich, dass dieser Gottesbegriff jedem religiösen Verständnis entgegensteht. So heißt es in einem Lexikon der katholischen Dogmatik: „In manchen pantheistischen Anschauungen der Neuzeit wird die P[ersonalität] Gott abgesprochen, weil sie nur auf ein kontingentes Verhalten bezogen werden könne. Damit aber würde das Göttliche zur dumpfen und blinden Dynamik herabgewürdigt und letztlich überhaupt geleugnet.“ (Beinert 1987: 414) Und der Religionsphilosoph Johannes Hirschberger meint: „So vernichten die Theologen Gott, wenn sie ihn in übergroßer Verherrlichung [!] zum ‚ganz Anderen‘ machen.“ (Hirschberger 2010: 212)

Ein Pantheismus nach der Art Spinozas ist letztendlich nicht mehr vom Atheismus unterscheidbar.[4] So ist es legitim, wenn etwa der britische Philosoph John Gray Spinoza als Atheisten bezeichnet (vgl. Gray 2019: 147).

Gleichzeitig kann der Monotheismus scheinbar nicht bei einem einfachen, persönlichen Gott verharren. Der unbedingte und notwendige Charakter seiner Existenz macht jede kontingente Persönlichkeit unglaubwürdig. Der Monotheismus befindet sich darum in einem ständigen Spannungsfeld zwischen personalen und abstrakten Gottesbegriffen.

4.2 Verstehbarkeit (an sich)

Demea sagt in Humes Dialogues:

The question is not concerning the being, but the nature of God. This, I affirm, from the infirmities of human understanding, to be altogether incomprehensible and unknown to us. The essence of that supreme Mind, his attributes, the manner of his existence, the very nature of his duration; these, and every particular which regards so divine a Being, are mysterious to men. […] They are covered in a deep cloud from human curiosity. (Hume 2009: 21; pt. 2)

Gottes Wesen ist für den Menschen nicht erkennbar. Der Mensch muss sich angesichts des göttlichen Mysteriums in Demut üben. Nach Anselm von Canterbury: „Der Mensch begreift rational, daß Gott unbegreiflich ist.“ (Beinert 1987: 129)

Diese orthodoxe Auffassung wird interessanterweise insbesondere im Zusammenhang mit dem Theodizee-Problem zitiert, wohl um diesem aus dem Weg zu gehen. Bekannt sind die Verse aus Jesaja 55: 8, 9: „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr [Jahwe], sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“

Gleichzeitig ist es für den Glauben an Gott unabdingbar, dass er auch verständlich ist. Hans Jonas schreibt vom Standpunkt des Judentums aus:

Unsere Lehre, die Thora, beruht darin und besteht darauf, daß wir Gott verstehen können, nicht vollständig natürlich, aber etwas von ihm – von seinem Willen, seinen Absichten und sogar von seinem Wesen, denn er hat es uns kundgetan. Es hat Offenbarung gegeben, wir besitzen seine Gebote und sein Gesetz, und manchen – seinen Propheten – hat er sich direkt mitgeteilt […] (Jonas 1987: 38 f.)

Eben dies lässt sich auch für alle anderen großen Religionen sagen. Zwar müssen theistische Philosophen nicht an eine Offenbarung glauben, aber im Grunde müssen sie umso mehr von der Verstehbarkeit Gottes ausgehen, wenn sie von einer Vernunfterkenntnis Gottes ausgehen.

Ein totaler Mystizismus in Bezug auf die göttliche Natur droht schließlich gar in einen praktischen Atheismus zu kollabieren. Und so fragt bei Hume Demeas Gesprächspartner Cleanthes diesen: „[H]ow do your mystics, who maintain the absolute incomprehensibility of the Deity, differ from Sceptics or Atheists, who assert, that the first cause of all is unknown and unintelligible? (Hume 2009: 39; pt. 4)

Deutlich zeigt sich der Widerspruch von der göttlichen Verstehbarkeit bei Nikolaus von Kues in seiner Schrift De visione Dei (1453): 

Das höchste Wissen ist nicht in dem Sinne als unerreichbar anzusehen, als wäre uns jeder Zugang zu ihm versperrt, noch dürfen wir es jemals erreicht und wirklich erfasst wähnen, vielmehr ist es derart zu denken, dass wir uns ihm beständig annähern können, während es dennoch in seiner absoluten Wesenheit dauernd unzugänglich bleibt. (Zit. Lutz 1989: 574)

Der Widerspruch wird hier beinahe explizit. Er ist nicht so polar wie in anderen Fällen, da eine totale Verstehbarkeit durchaus nicht zum Gottesbegriff gehört. Dennoch konkurrieren partielle Verstehbarkeit und totale Unverstehbarkeit.

4.3 Erkennbarkeit (in der Natur)

Innerhalb des Christentums ist der Status einer natürlichen Theologie, die ihr Wissen über Gott aus der Natur schöpft, umstritten. Der natürliche Theologe und sein orthodoxer Gegner werden in Humes Dialogues hervorragend durch die Figuren Cleanthes und Demea repräsentiert. Cleanthes ist der Auffassung, dass Gott durch die Natur erkannt wird:

The curious adapting of means to ends, throughout all nature, resembles exactly, though it much exceeds, the productions of human contrivance; of human designs, thought, wisdom, and intelligence. Since, therefore, the effects resemble each other, we are led to infer, by all the rules of analogy, that the causes also resemble; and that the Author of Nature is somewhat similar to the mind of man, though possessed of much larger faculties. (Hume 2009: 23; pt. 2)[5]

Man sieht hier schon die Verflochtenheit mit der Personalität (s. Kapitel 4.1), aber darum geht es nicht. Cleanthes ist der Auffassung, dass Gott in der Natur erkennbar sei: Von der Natur darf auf die Natur Gottes geschlossen werden. Dem widerspricht sein Gegenspieler Demea vehement; seiner Auffassung nach kann Gott durch die Vernunft a priori bewiesen werden (vgl. ebd.: 69 f.; pt. 9); außerdem fühle der Mensch die Gegenwart Gottes intuitiv, wenn er sich der Dummheit und des Elends seines Daseins bewusst werde (vgl. ebd.: 74; pt. 10).

Dies ist das genaue Gegenteil der Rechtfertigung des Deismus[6] etwa eines Voltaire:

Ich wundere mich, daß man unter so vielen überstiegenen Beweisen für das Dasein Gottes noch nicht darauf verfallen ist, das Vergnügen als Beweis anzuführen; das Vergnügen ist etwas Göttliches, und ich bin der Meinung, daß jedermann, der guten Tokaier trinkt, der eine schöne Frau küßt, mit einem Wort, der angenehme Empfindungen hat, ein wohltätiges höchstes Wesen anerkennen muss. (Zit. Weischedel 1980: 187)

Voltaire (wie auch Cleanthes, vgl. Hume 2009: 44, 82; pts. 4, 10) wendet sich Gott aus Dankbarkeit über die Schöpfung zu; Demea hingegen, um gerade sich von dieser Schöpfung abzuwenden. Sie ist aus seiner Sicht in vielerlei Hinsicht unvollkommen, während Gott vollkommen ist. Dem widersprach beispielsweise Gottfried Wilhelm Leibniz, denn in seinen Augen wäre jeder Fehler der Schöpfung ein Fehler Gottes gewesen; darum musste er annehmen, dass die vorliegende Welt die beste mögliche Welt sei (vgl. Lutz 1989: 449 f.).

Es besteht also große Unklarheit über das Verhältnis zu Gott und der Welt, denn auch Demea ist überzeugt, dass Gott die Ursache der Welt sei (vgl. erneut Hume 2009: 69; pt. 9). Zwar akzentuieren die verschiedenen Religionen und Konfessionen jeweils verschieden die Erkennbarkeit oder Unerkennbarkeit Gottes in der Natur, aufgelöst wird dieser Widerspruch dadurch aber noch nicht. Ein Gott, der mit der Natur nichts zu tun hat, erscheint genauso absurd wie einer, den man darin erkennen kann; bzw. beide sind gleichermaßen naheliegend.

Wie bei der Verstehbarkeit (s. Kapitel 4.2) wird eine Position je nach den Umständen bezogen. Angesichts einer besonders schönen Landschaft lobt man etwa die Göttlichkeit der Natur (vgl. Psalm 104: 24); angesichts des Schreckens bezeichnet man die Welt als nichtig (vor Gott), degradiert sie zur bloßen Vorstufe auf das ewige Leben. Ein konsistentes Gesamtbild ergibt sich dabei nicht.

4.4 Involviertheit

„Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Johannes 3, 16) Dieser zentrale Bibelvers betont die Involviertheit Gottes in das weltliche und insbesondere menschliche Geschehen. Gott sorgt sich demnach um die Menschen und freut sich über jeden Einzelnen, der vom Pfad der Sünde abkehrt. Dabei muss es nicht immer ein liebender Gott sein, der emotional involviert ist (dieser ist eine christliche Spezialität): „[…] Denn ich, der Herr [Jahwe], dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern […]“ (5. Mose 5: 9). Jedenfalls ist Gott mitten im Weltgeschehen.

Gleichzeitig gehört zum Gottesbild die Erhabenheit. Gott steht, metaphorisch gesprochen, über den Dingen und sieht zwar die Kreatur in der Welt leiden, blickt jedoch von einer höheren Warte auf sie herab und leidet nicht dieselben Leiden. Dies wäre auch ein Zeichen von Unvollkommenheit und Weltlichkeit.

Es ist aber doch so, dass Gott durch sein Mitfühlen in die weltlichen Angelegenheiten hineingezogen wird. So entsteht ein Widerspruch zwischen einem nahen, interessierten, involvierten, aber so auch in seiner Größe beschränkten Gott auf der einen und einem fernen, überlegenen, außenstehenden Gott. Friedrich Nietzsche schreibt polemisch: „Also sprach der Teufel einst zu mir: ‚auch Gott hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen.‘ Und jüngst hörte ich ihn dies Wort sagen: ‚Gott ist tot; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.‘ –“ (Nietzsche 1961: 69; II, Von den Mitleidigen) Nietzsche – bzw. sein Alter Ego Zarathustra – übertreibt hier zwar, doch spielt auch geschickt mit einer Schwachstelle des Theismus: Ein mitfühlender Gott ist verwundbar.

Eine besondere Frage ist die nach der Schöpfung. Die Absicht, etwas zu schaffen, kann schon als Zeichen von Unvollkommenheit verstanden werden. Der Neoplatoniker Plotin, der von einer nicht personalen und nur negativ definierbaren, vollkommenen Gottheit ausgeht, lehnt daher eine Absicht als Grund für die Schöpfung ab:

Nicht etwa deshalb, weil es [das Eine, die Gottheit] irgendein Bedürfnis empfände, zur Welt zu werden. Bedürfnis wäre ein Zeichen des Mangels; dem in sich vollkommenen Einen kann jedoch nichts mangeln. Weltursprung kann auch nicht die Liebe Gottes sein […]; denn auch in der Liebe, die Plotin als Sehnsucht deutet, steckt ein Gefühl des Nichthabens, des Mangels. (Weischedel 1980: 87)

Ein völlig desinteressierter Gott verlöre wiederum jede Personalität.

5. Glauben an Unmögliches

Ist Gottes Existenz a priori nicht möglich, dann ist er eigentlich auch nicht denkbar; wie bspw. auch kein verheirateter Junggeselle denkbar ist. Wie ist es möglich, dass ein Mensch dennoch von seiner Existenz überzeugt ist? Darauf gibt es drei mögliche Antworten, die wahrscheinlich alle zutreffen.

Erstens: Es gibt mehrere Gottesbilder, die jeweils in sich konsistent sind und sich je nach Situation abwechseln. Bspw. könnte Gott im alltäglichen religiösen Gebrauch verstehbar sein, angesichts des Theodizee-Problems aber ein anderer Gottesbegriff, ein anderes Gottesbild herangezogen werden. Durch die situative Anwendung werden die widersprüchlichen Gottesbilder nie gleichzeitig gedacht. So kann verdrängt werden, dass sich aus ihnen kein einheitliches Gottesbild ergeben kann. Schriften wie William James’ Varieties of Religious Experience (James 1977) zeigen die Vielfalt der Funktionen des Glaubens an Gott.

Zweitens: Der Gottesbegriff wird gar nicht klar gedacht. Zwar mögen manche behaupten, dass sie ganz genau wüssten, was sie meinten, wenn sie von „Gott“ sprächen; doch zeigen die Bemühungen etwa von Philosophen wie Nikolaus von Kues (vgl. Lutz 1989: 573 f., Weischedel 1980: 131), dass der Gottesbegriff extrem diffus ist. Im kognitiven Nebel bleibt der Widerspruch unsichtbar.

Drittens: Möglicherweise glauben die Menschen i. d. R. gar nicht im strengen Sinne an Gott, d. h. so, wie sie an greifbare, sichtbare Dinge glauben, wenn diese im Moment nicht greifbar oder sichtbar sind. Der Philosoph Daniel Dennett nennt dieses Phänomen den „Glauben an den Glauben“ (Dennett 2016: 248): „Was gemeinhin als ‚religiöser Glaube‘ oder ‚religiöse Überzeugung‘ bezeichnet wird, könnte weniger irreführend ‚religiöses Bekenntnis‘ genannt werden. [… Vielleicht] verstehen oder glauben religiöse [Bekenner …] nicht, was sie bekennen.“ (Ebd.: 281) Stattdessen glaubt man bloß, dass man bekennen und glauben sollte und glaubt schließlich sogar, an all das zu glauben, das man bekennt (vgl. ebd.: 281 f.).

Wie gesagt lassen sich die Widersprüche innerhalb des Gottesbegriffs historisch gesehen durch eine zunehmende Vergeistigung erklären.

6. Fazit

Die aufgelisteten Widersprüche sind stark genug, um den Gottesbegriff ganz zurückzuweisen. Gott soll zugleich Person und etwas ganz anderes sein, soll zugleich offen und rätselhaft sein, in der Natur offenbar sein und zugleich nichts mit ihr zu tun haben, schließlich zutiefst in die Welt verstrickt und über alles erhaben sein. Diese gegensätzlichen Vorstellungen sind nicht verschiedene Lehrmeinungen der einzelnen Religionen, Konfessionen und Schulen, sondern sind alle im Gottesbegriff enthalten. Einen Gott, der alle diese Widersprüche in sich vereint, kann es aber nicht geben – das ist pure Logik. Und doch werden diese göttlichen Eigenschaften oft von ein und derselben Person vertreten.

Anders als bei der Teekanne im Weltraum (s. Kapitel 2) kann man also schon sicher wissen, dass Gott nicht existiert. Dieser Atheismus ist also nicht: Ich glaube nicht, dass Gott existiert, sondern: Ich glaube – weiß –, dass Gott nicht existiert.

Die Philosophie verlangt klare Begrifflichkeiten; sie hat andere Maßstäbe als die Religion (oder die Theologie). Diese Arbeit ist – wie in Kapitel 1 dargestellt – keineswegs religionskritisch. Sehr richtig schreibt Daniel Dennett:

[E]s gibt interessante Gründe dafür, daß Leute sich nicht auf eine bestimmte Definition von Gott festlegen lassen wollen (nicht einmal um des Argumentes willen). Die Schleier des Mißverstehens und des Scheiterns von Kommunikation sind nicht einfach nur lästige Hindernisse auf dem Weg zu einer rigorosen Widerlegung; sie sind selbst Gestaltungsmerkmale von Religionen, die es wert sind, einer eigenen Betrachtung unterzogen zu werden. (Dennett 2016: 267 f.)

So sinnvoll diese Diffusität für das religiöse Erleben und Leben auch sein mag, sie unterläuft in der Theismus-Debatte die Klarheitsbestrebungen der Philosophie. Der Philosoph muss auf einen unklaren Gottesbegriff mit dem Nietzsche-Wort antworten: „Gott ist eine faustgrobe Antwort, eine Undelikatesse gegen uns Denker –, im Grunde sogar bloß ein faustgrobes Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!“ (Nietzsche 1990: 315; Ecce homo, Warum ich so klug bin, 1) – Ein Verbot, das philosophisch nicht hinnehmbar ist.

Widerlegt ist mit dieser Arbeit also der Theismus als eine philosophische Position.

Literaturverzeichnis

Beinert, Wolfgang (Hrsg.) (1987): Lexikon der katholischen Dogmatik. Herder, Freiburg i. Br.

Brugger, Walter (Hrsg.) [1976] (1992): Philosophisches Wörterbuch. Herder, Freiburg i. Br.

Dawkins, Richard [2006] (2018): Der Gotteswahn. Übers. v. Sebastian Vogel. Ullstein, Berlin.

Dennett, Daniel C. [2006] (2016): Den Bann brechen. Religion als natürliches Phänomen. Übers. v. Frank Born. Suhrkamp, Frankfurt a. M.

Gray, John [2018] (2019): Seven Types of Atheism. Penguin, Milton Keynes.

Hirschberger, Johannes [1961] (142010): Kleine Philosophiegeschichte. Anaconda, Köln.

Hume, David [1779] (2009): Dialogues Concerning Natural Religion. Merchant Books, Norderstedt.

James, William [1902] (1977): The Varieties of Religious Experience. A Study in Human Nature. Fountain Books, Glasgow.

Jonas, Hans [1984] (1987): Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Suhrkamp, Frankfurt a. M.

Kant, Immanuel [1781] (1975): Kritik der reinen Vernunft. Reclam, Stuttgart.

Lutz, Bernd (Hrsg.) (1989): Metzler-Philosophen-Lexikon. Dreihundert biographisch werkgeschichtliche Porträts von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen. Metzler, Stuttgart.

Nietzsche, Friedrich [1883–1885] (1961): Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. Goldmann, München.

Ders. [1888] (1990): Götzendämmerung. Wagner-Schriften. Der Antichrist. Ecce homo. Gedichte. Kröner, Stuttgart.

Puntsch, Eberhard (1995): Das neue Zitaten-Handbuch. Eine besondere Auswahl aus drei Jahrtausenden. Zitate, die man nicht überall findet. Weltbild Verlag, Augsburg.

Weischedel, Wilhelm [1966] (1980): 34 große Philosophen in Alltag und Denken. Die philosophische Hintertreppe. Nymphenburger, München.

Württembergische Bibelanstalt Stuttgart (1978): Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments nach der Übersetzung Martin Luthers. Württembergische Bibelanstalt Stuttgart, Stuttgart.


[1] Seit Kant gilt dieses Unternehmen freilich für grundsätzlich logisch unmöglich; s. Kapitel 3.

[2] Damit meine ich vor allem die christliche Lehre von der Trinität Gottes, die oft als widersprüchlich gilt (vgl. bspw. Dawkins 2018: 49 f.). Da sie weder Teil des Judentums noch des Islam ist, ja sogar in Teilen des Christentums abgelehnt wird und für den philosophischen Theismus praktisch keine Rolle spielt, ist sie nicht Gegenstand dieser Untersuchung – so bedeutsam sie als Argument gegen das Christentum (bzw. die Mehrheit der christlichen Konfessionen) auch sein mag.

Auch die absolute Allmacht wird nicht untersucht, obwohl auch diese, konsequent zu Ende gedacht, problematisch ist (vgl. etwa Jonas 1987: 33–36). Im Gegensatz zu den folgenden Aspekten wurde sie bereits vielfach problematisiert.

Dennoch werden in erster Linie christliche Quellen herangezogen; das ändert nichts an der Gültigkeit der Argumentation für die jüdische und islamische Theologie.

[3] Es sei darauf hingewiesen, dass der hier beschriebene Unterschied zwischen Mensch und Gott nicht quantitativer, sondern qualitativer Art ist.

[4] Mehr als auf jeden anderen Denker „in der Geschichte der Philosophie“ wurden auf diesen darum „Beschimpfungen gehäuft“ (Weischedel 1980: 158).

[5] Der hier beschriebene Unterschied zwischen Gott und Mensch bzw. göttlichem und menschlichem Geist ist rein quantitativ.

[6] Der Deismus ist eine philosophische Variante des Theismus, die göttliche Eingriffe nach der Schöpfung („Wunder“) und eine göttliche Offenbarung bestreitet (vgl. Brugger 1992: 57).